© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Kopflos in Kundus
Wirrwarr um deutsche Interessen: Nibelungentreue lohnt sich nicht
Michael Paulwitz

Deutschland ist drauf und dran, wieder einen Krieg zu verlieren. Nicht weil am Hindukusch binnen vierzehn Tagen sieben Soldaten im Kampf gefallen und etliche im Einsatz verwundet worden sind: kein Krieg ohne Verluste, da hat lediglich die Realität die Schönredner eingeholt.

 Der Afghanistan-Krieg droht für Deutschland zum Desaster zu werden, weil seine politische Führung nicht weiß, warum sie ihn führt, und weil sie deshalb die Truppe ohne feste politische Rückendeckung, mit unmöglichem Auftrag und unzureichender Ausrüstung ins Feld geschickt hat.

„Für Deutschland“ seien die am Karfreitag gefallenen Männer gestorben, hatte die Kanzlerin in ihrer Traueransprache gesagt, und der Verteidigungsminister nannte sie „Helden unseres Landes“, auf die man stolz sein könne. Und in der Tat, nur das wohlverstandene nationale Interesse des Volkes und Landes, dessen Uniform er trägt, kann das höchste Opfer rechtfertigen, das von einem Soldaten gefordert und erbracht werden kann. Geht es indes darum, dieses nationale Interesse zu konkretisieren, flüchten die politischen Spitzen dieses Landes ins Ungefähre, Phrasenhafte, rein Affirmative. Das läßt die großen, lang nicht mehr gehörten Worte doch wieder aufgesetzt und hölzern klingen.

„Sicherheit für Deutschland und alle westlichen Demokratien“ wolle man in Afghanistan erreichen, erklärte Angela Merkel jüngst in den USA. Über derlei Paraphrasen des Struckschen „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ ist die politische Rhetorik in neun Jahren Afghanistan im Grunde nicht hinausgekommen. Die Zweifel an dem Einsatz, für die Merkel immerhin „Verständnis“ hat, räumen derlei weitausholende Bekenntnisse nicht aus. Sie klingen schon deshalb großsprecherisch, weil bislang nicht einmal das Nahziel der Sicherung und Stabilisierung Afghanistans erreicht wurde. Und sie klingen beliebig, weil allerlei willkürlich ausgepackte Hilfsziele abwechselnd als Einsatzgrund herhalten müssen: Demokratisierung, Frauenrechte, Mädchenschulen, Brunnenbohren, Wiederaufbau – nichts davon rechtfertigt, daß deutsche Soldaten dafür in einem fernen Land sterben.

Vorgeschoben wirkt das Argument, in Afghanistan gehe es um Deutschlands Sicherheit, aber auch durch die wiederholten Beteuerungen, Deutschland erfülle dort seine „Verpflichtungen“. Kämpft die Bundeswehr also nicht für deutsche Interessen, sondern für die seiner Verbündeten? Diese können deckungsgleich sein, sind es aber nicht zwingend.

In der Tat gibt es gute Gründe für die Annahme, die USA hätten die Initiative zum Afghanistan-Einsatz  weniger um des Kampfes gegen den Terror willen ergriffen als vielmehr, um in Zentralasien eine strategische Position im globalen Spiel um Rohstoffe und Transportwege zu besetzen. Daß Bundeskanzler Schröder sich seinerzeit in „bedingungsloser Solidarität“ sofort für Afghanistan gemeldet hat, mag uns die Teilnahme am Irak-Krieg erspart haben. Inzwischen ist aber Afghanistan der Hauptkriegsschauplatz, und Angela Merkel hat ebenso wie US-Präsident Obama den vom Amtsvorgänger ererbten Krieg zu ihrem eigenen gemacht. Sie wird daraus noch ganz andere Konsequenzen ziehen müssen als bewegende Ansprachen bei Trauerfeiern.

Nibelungentreue als Selbstzweck ist ein schlechter Ratgeber und führt nicht selten direkt in die Niederlage. Steht Deutschland in erster Linie aus Bündnissolidarität am Hindukusch, sollte die Bundesregierung besser heute als morgen den Ausstieg suchen – so wie die Niederlande und Kanada, das mit über 140 Gefallenen bisher nach Amerikanern und Briten den höchsten Blutzoll entrichtet hat und jetzt dem innenpolitischen Druck auf baldigen Abzug nachgibt. Keiner zweifelt deshalb an ihrer Bündnistreue.

Wie viele Gefallene ist Deutschland bereit, für die am Hindukusch zu erkämpfende Sicherheit zu bezahlen – hundert? Oder über tausend wie die USA? Kanzleramtsminister Pofalla findet den Preis jetzt schon „fürchterlich“. An dieser Abwägung führt kein Weg vorbei. Krieg ist Ernstfall, auch wenn er weitab der Landesgrenzen geführt wird. Die Entscheidung zum Krieg wie die Entscheidung zu seiner Beendigung muß dem nationalen Interesse als oberste Richtschnur folgen. Pazifistische Universalismen, wie sie die Linke pflegt, sind kein Grund für einen Rückzug. Ebensowenig sind innenpolitische Empfindlichkeiten eine Rechtfertigung dafür, sich hinter Euphemismen zu verstecken und der kämpfenden Truppe die notwendigen Waffen und die erforderliche Handlungsfreiheit zu verweigern.

Die Rehabilitierung des Obersten Klein durch die Bundesanwaltschaft hat das politische Führungspersonal der Republik, Kanzlerin und Verteidigungsminister eingeschlossen, als kopflose Opportunisten vorgeführt, die es aus Angst vor schlechter Presse nicht gewagt haben, zur eigenen Kriegsentscheidung zu stehen und sich ohne Wenn und Aber hinter die militärische Entscheidung eines verantwortungsbewußten Soldaten zu stellen. Nicht in Regierungserklärungen, beim nächsten Fall Kundus muß die Kanzlerin zeigen, wie sehr sie die Leistung der Soldaten tatsächlich schätzt – und ob die politische Führung der Republik den Anforderungen eines Krieges überhaupt gewachsen ist.

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