© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Die Angst vor dem großen Knall
Linksextremismus: Unmittelbar vor dem 1. Mai wächst in Berlin die Angst vor neuerlichen gewalttätigen Ausschreitungen
Lion Edler

Ein Blick in die am Montag vorgestellte Berliner Kriminalstatistik spricht für sich. Die  Zahl der linken Gewalttaten in der Hauptstadt ist 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 144 Prozent von 171 auf 417 Fälle gestiegen. Mitverantwortlich für den Anstieg sind nicht zuletzt auch die schweren Ausschreitungen am 1. Mai vergangenen Jahres. Kein Wunder also, daß knapp eine Woche vor dem diesjährigen 1. Mai die Sorge vor dem großen Knall wächst. Bereits in der vergangenen Woche warnte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung eindringlich vor schweren Ausschreitungen: „Wir haben ganz große Sorgen, daß es in diesem Jahr rund um den 1. Mai zu Hunderten von Verletzten kommen kann und hoffentlich am Ende nicht sogar zu dem einen oder anderen Toten.“

„Es fehlt an allen Ecken und Enden“

Nach Einschätzung des Gewerkschaftsvorsitzenden fehlen am 1. Mai in Deutschland „Zehntausende von Polizisten“. Für eine abschreckende Wirkung sei jedoch eine zahlenmäßig starke Polizeipräsenz nötig. „Es fehlt an allen Ecken und Enden in der Republik“, sagte Freiberg.

Die Polizei sei „insgesamt derzeit nicht mehr in der Lage, diese vielen Großeinsätze zur gleichen Zeit überall ordnungsgemäß wahrzunehmen“. Leider sage die Politik nicht, daß Personal fehle, sondern behaupte, daß das vorhandene Personal ausreiche, „und hinterher, wenn etwas schiefläuft, dann sieht das anders aus“. Das erwartete Aufeinanderprallen zwischen Links- und Rechtsextremisten werde „gewalttätiger werden als in den letzten Jahren“. Es höre sich zwar einfach an, zu sagen, daß Demonstrationen nicht stattfinden können, weil die Polizei nicht für die notwendige Sicherheit sorgen könne, doch dies sei ein „wirklich sehr bedenkliches Zeichen für unseren Rechtsstaat“.  Der Berliner Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, warnte, die linke Szene sei „aktiv wie lange nicht mehr“ und bereite sich offenbar „intensiv“ auf den 1. Mai vor. Allein in Berlin wurden 30 Veranstaltungen und Demonstrationen von überwiegend linken Initiatoren für den 1. Mai angemeldet.

Wie die Berliner Morgenpost  unter Berufung auf „ranghohe Sicherheitskreise“ berichtete, müssen Berliner Polizisten dabei weitgehend allein die Lage kontrollieren. Zwar sei bei mehreren Bundesländern Unterstützung erbeten worden, allerdings gebe es bislang nur wenige verbindliche Zusagen, da die Verbände für Einsätze im eigenen Gebiet vorgesehen seien. Eine Polizeisprecherin wollte die Angaben nicht bestätigen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) trat derweil Befürchtungen entgegen, es könnten nicht genügend Polizisten zu Verfügung stehen. Darum mache er sich keine Sorgen.

Das linke „Bündnis 1. Mai Nazifrei“ klagt indes über mangelnde Transparenz bei der Polizei, weil diese keine Informationen über Ort und Zeit der angekündigten rechtsextremen Kundgebung geben will. Die „demokratische Öffentlichkeit“ habe ein Recht darauf, zu erfahren, „wann sie sich wo den Nazis in den Weg stellen kann“, hieß es in einer Erklärung. Die Gruppierung kündigte an, man werde sich „durch Aktionen des Zivilen Ungehorsam mit Massenblockaden den Nazis entgegenstellen“ und sie so „stoppen“. Unterstützt wird das Bündnis unter anderem vom Bundesvorstand der Grünen und der Linkspartei, der DKP, Attac, diversen Antifa-Gruppen, dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske und der DGB-Jugend sowie von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD).

Im vergangenen Jahr war es rund um den 1. Mai zu den schwersten Ausschreitungen seit Jahren gekommen (JF 20/09). Die Bilanz: 479 verletzte Polizisten, 289 Festnahmen, die Staatsanwaltschaft erhob in 153 Fällen Anklage. Im Oktober wurden zwei junge Männer, die einen Brandsatz geworfen hatten, zu jeweils drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die höchste Strafe erhielt mit drei Jahren und vier Monaten Gefängnis ein Lagerarbeiter, der zwölf Bierflaschen geworfen hatte. Dagegen wurden zwei Berliner Schüler, die beschuldigt worden waren, einen „Molotowcocktail“ geworfen zu haben (JF 39/09), vom Landgericht mangels Beweisen vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.

Der Berliner Grünen-Politiker Benedikt Lux glaubt jedoch, daß die Polizei aus den Ausschreitungen gelernt habe. Die Polizei werde sich „diesmal effektiver aufstellen“. Zudem habe sich „das Prinzip der ausgestreckten Hand“ bewährt. Die jüngsten Warnungen der Gewerkschaft der Polizei hält Lux für voreilig, da die Lage am 1. Mai noch keinesfalls absehbar sei. Lux sprach von „Panikmache“ und nannte es „unverantwortlich, jetzt schon Gewalt oder gar Tote herbeizureden“. Im vergangenen Jahr hatte sich dies unmittelbar vor dem 1. Mai bei Lux jedoch anders angehört. Damals plante der CDU-Politiker Kurt Wansner in der Kreuzberger Oranienstraße eine Demonstration gegen linksextreme Gewalt mit CDU- und Bundesflaggen. Trockener Kommentar dazu damals von Lux: „Wansner will wohl als Märtyrer sterben.“

Foto: Polizeieinsatz bei den Krawallen am 1. Mai 2009: Hunderte von Verletzten befürchtet

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