© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

„Wir sind nicht umgefallen“
Steuersenkungen: Vor ihrem Bundesparteitag muß sich die FDP gegen den Vorwurf wehren, sie habe ihre Wahlkampfversprechen gebrochen
Paul Rosen

Wir sind überhaupt nicht umgefallen – das ist dummes Zeug.“ Selten war Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) so  erregt zu hören wie im Deutschlandfunk bei einem Interview über die Steuerpläne der Liberalen. Auch der FDP-Finanzexperte und Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms bekräftigte: „Wir rücken in keiner Weise von unseren Vorstellungen ab.“ 

Trotz der Dementis hat die FDP vor ihrem Bundesparteitag in Köln an diesem Wochenende ein Problem. Vor der Wahl hatten die Liberalen eine Steuerreform ab 2011 mit einem Drei-Stufen-Tarif und einem Entlastungsvolumen von 35 Milliarden Euro versprochen. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP war dann noch von 24 Milliarden Euro Entlastung und von einem Beginn der Reform möglichst 2011 die Rede.

Jetzt ruderte die FDP nochmals zurück. Die Reform soll erst 2012 beginnen, und die Bürger sollen nur noch um 16 Milliarden Euro entlastet werden. Die Entlastung soll ausschließlich unteren und mittleren Einkommen bis zu einem Jahresverdienst von 53.000 Euro zugute kommen. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent und der Eingangssteuersatz von 14 Prozent sollen nicht verändert werden. Man wolle besonders etwas gegen die kalte Progression „beziehungsweise gegen den Mittelstandsbauch“ tun, heißt es in der FDP. Dafür sind jetzt fünf statt früher drei Tarifstufen vorgesehen.

Der Stufentarif ist in der Finanzwissenschaft stark umstritten. An seinen Übergängen von einer Stufe zur nächsthöheren kommt es zu starken und ungerechten Belastungssprüngen. Wenn die Zahl der Stufen erhöht wird wie beim FDP-Modell, nähert man sich aber wieder dem geltenden linear-progressiven Tarif an. Genau das hat die FDP getan, um der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das ändert aber nichts an der Bewertung, daß der Tarifvorschlag der Liberalen den Praxistest nicht besteht. Wer wirklich die Bürger entlasten und den Mittelstandsbauch beseitigen will, muß den Spitzensteuersatz senken. Nur durch die dadurch mögliche flache Tarifkurve werden Grenzbelastungen vermieden, die sonst bei jedem zusätzlich verdienten Euro mindestens 50 Cent Steuern auslösen. Dazu fehlte der FDP der Mut.

Sozialleistungen auf dem Prüfstand

Mutlos war die Partei auch bei der Gegenfinanzierung. Es ist eine alte Erkenntnis, daß Deutschland kein Staatsausgaben-, sondern ein Staatsaufgabenproblem hat. Der Staat mischt sich in alles ein, will alles regeln und bevormunden bis hin zum flächendeckenden Aufbau von Kinderkrippen. Wer sparen will, muß Aufgaben komplett abschaffen. Ausgaben kürzen bringt allenfalls kurzfristiges Sparpotential.

Die FDP geht davon aus, daß 50 Prozent ihrer Nettoentlastung durch stärkeres Wirtschaftswachstum finanziert werden können (Selbstfinanzierungseffekt). Dies ist eingedenk früherer Erfahrungen unter Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) in der achtziger Jahren möglich. Aber bei der anderen Hälfte wird die FDP kleinlaut. Sie will Subventionen streichen und Sozialleistungen auf den Prüfstand stellen. Konkret wurde sie aber nicht. Außerdem hofft sie auf zehn Milliarden Euro Mehreinnahmen durch die Eindämmung der Schwarzarbeit. Auch dies ist ein immer wieder gern vorgetragener Placebo zur vermeintlichen Schließung einer Deckungslücke.

Zustimmung kommt vom Koalitionspartner. „Die FDP hat sich bewegt. Die Richtung stimmt“, sagt etwa der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Der Finanzexperte Michael Meister (CDU) zeigt sich überzeugt, daß man mit der FDP zu einem gemeinsamen Steuerkonzept kommen werde.  Alles andere wäre auch verwunderlich. Die FDP hat sich bereits derart stark selbst verleugnet, daß es auf den Rest auch nicht mehr ankommt und der alte Ruf der Umfallerpartei damit komplett wiederhergestellt wäre. Die übrigen Reaktionen erinnern an Pawlowsche Reflexe: SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von „eiskalter Umverteilungspolitik“. Die Linkspartei wirft der FDP Ausplünderung der öffent­lichen Kassen“ vor.

Das FDP-Konzept ist mit Blick auf die nordrhein-westfälische Landtagswahl und unter besonderer Mitwirkung des dortigen Spitzenkandidaten Andreas Pinkwart gemacht worden. Pinkwart war noch nie ein besonders mutiger Mann. Die Ermäßigung der Umsatzsteuer für Hotels hatte er zunächst mitbeschlossen, aber nach dem massiven Protest bekam er kalte Füße und wollte diese Steuersenkung wieder abschaffen. Genauso rudert er jetzt bei der Steuerreform zurück. Ob der FDP-Wähler dieses Verhalten goutiert oder nicht, wird sich am 9. Mai bei der Landtagswahl zeigen.

Foto: Ist die FDP im Steuerstreit umgefallen?: Die Spitzenpolitiker der Partei dementieren lautstark

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