© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Über Europa schimmert der Glanz von Burgund
Stolzer Untergang des Abendlandes: Die Brüsseler El-Greco-Ausstellung als brillanteste Gabe der spanischen EU-Ratspräsidentschaft
Sebastian Hennig

Die EU-Ratspräsidentschaft motiviert eine ganze Reihe kultureller Botschaften aus Spanien in den Ländern der Europäischen Union. Im Palazzo Reale in Mailand ist bis Ende Juni „Goya und die moderne Welt“ zu sehen. In Paris werden bis zum 4. Juli Flämische Bildteppiche vom goldenen Zeitalter Spaniens zeugen. Weitere Ausstellungen finden in Stockholm, Laibach, Prag, Bremen, Moskau und Bukarest statt. Am europäischen Verwaltungssitz Brüssel ist derzeit das brillanteste Glied aus dieser Kette von Gaben zu sehen. Die Ausstellung „El Greco. Domenikos Theotokopoulos 1900“ zeigt erstklassige Exponate aus Toledo, Madrid, Modena, Parma und Bologna. Zugleich ist die Ausstellung in vielerlei Hinsicht aufschlußreich.

Das beginnt mit dem Ausstellungsort. Brüssel verfügt über einen Kunstberg, wie Berlin über eine Museumsinsel. Neben dem Königlichen Kunstmuseum, der Albertbibliothek befindet sich hier seit 1928 das Paleis voor schone Kunsten. Nach grundlegender Erneuerung und Erweiterung beherbergt es seit Anfang unseres Jahrhunderts unter dem Namen Bozar (Beaux-Arts) Konzertsaal, Cinemathek und Ausstellungsflächen. Archäologische Grabungen während der Bauarbeiten förderten Teile des riesigen Coudenberg-Palasts zutage. Hier war Albrecht Dürer während seiner Niederländischen Reise an die kaiserliche Tafel Karl V. geladen. Hier dankte dieser 1555 in Anwesenheit der Ritter vom Goldenen Vlies ab, um sich in die Einsamkeit des Klosters zurückzuziehen. 1731 ließ eine unbeaufsichtigte Kerze in den Gemächern der Statthalterin die ganze Pracht in Flammen aufgehen.

Der spanische Regierungschef José Luis Zapatero beschwört im Ausstellungskatalog die Kultur als das Herz des Kontinents. Über der Walstatt Europa schimmert für einen Augenblick der Glanz des sagenhaften Burgund. Auch vom Reich Karls V., in dem die Sonne niemals unterging, hat die Union der europäischen Länder nur die mitternächtlichen Provinzen behalten. Lange vorbei auch die Zeiten, als der englische Abenteurer Stanley dem belgischen König Leopold sein privates Afrika überreichte.

Bilder, die man nicht bei Licht betrachtet

Wie Dioramen leuchten die Bilder in den verdunkelten Räumen. Es sind nicht Dinge, die man bei Licht betrachtet, sondern selbst versammeln sie alles Licht, um es farbig geordnet dem Betrachter gegenüberzustellen. Die Inszenierung ist sinnfällig, da sie die kunstvolle Lichtführung des Griechen betont. Auf der „Allegorie der Heiligen Liga“ (auch „Allegorie auf den Sieg bei Lepanto“) kniet der greise Karl V. erhobenen Hauptes im Vordergrund. Wie Flämmchen des Heiligen Geistes züngelt die Hermelin-Verbrämung auf seinen Schultern. Der fromme Nihilismus seines Sohnes Philipp II. ist gekennzeichnet durch dessen schwarzen Mantel, der einen bestürzenderen Abgrund in die Bildfläche reißt als der Höllenrachen rechts dahinter.

Man blickt allerwärts in zweifelvolle, schmerzlich berührte Gesichter: Europa im selbstbewußten Untergang. Der Großinquisitor in der prunkvollsten Kleidung, von zwei Kardinälen assistiert, legt die beringten rotbehandschuhten Hände zum Gebet zusammen, als hätte er sie eben bis an die Wurzeln in Opferblut getaucht. Zwischen der Prozession der Gläubigen und dem Höllenrachen bleibt ein Durchblick frei auf den Feuersee Phlegeton, in den die Verdammten stürzen. Keine Reproduktion kann die Flammkraft dieser apokalyptischen Vision wiedergeben. Das Bild stellt einen Höhepunkt innerhalb der Ausstellung dar.

Der Hellenist Antonio Covarrubias war Professor der Universität Salamanca. Sein Bildnis ist eines der besten Porträts von El Greco. Frei vom Affekt der religiösen Panoramen, zeigt es den vornehmen Freund im Gespräch. Er scheint einer Bemerkung des intellektuell gleichrangigen Malerfreundes nachzusinnen. Eine Gesamtausgabe der Werke Xenophons in der eleganten griechischen Type der frühen Venzianer Drucker (vielleicht Aldus Manutius) aus dem Nachlaß des Malers ist ausgestellt. Dieser erbte es von Covarrubias. Der Bruder Diego Covarrubias ist gleichfalls im Porträt zugegen.

Bestürzend ist die Gegenwart dieser Menschen in der Malerei. Dadurch wird vieles weggefegt, was über diese Zeit von Historikern gemutmaßt wird. Eine anonyme zeitgenössische Kopie der Personengruppe des „Begräbnis des Grafen Orgaz“ erweist sich als glanzlos. Eine Werkstattfassung der „Entkleidung Christi“ dagegen wiederholt getreulich das Urbild für die Sakristei der Kathedrale von Toledo. Virtuos ist die Spiegelung des Christusmantels und des grünen Schergenkleides in der Rüstung des Kriegers wiedergegeben. Die Farben des Opfers besetzen schon die Oberfläche der Macht. Die Inquisition beanstandete das Werk, da der Christus von den Kriegsknechten überragt wird. Die kontemplativen Marien sind in stilles Rätseln über das Unabwendbare versunken, anstatt in stürmische Verzweiflung auszubrechen. Die Nähe der Frauen, die nach der Schrift „den Herrn von der Ferne sahen“, wurde gerügt. In der Beanstandung sah der Maler nur eine Honorardrückerei. Auch die Gefängnisdrohung konnte ihn zu keiner Änderung bewegen. Fünfzehnmal noch wiederholte er diese Erfindung.

Francisco Pacheco, Sachverständiger der Inquisition in Angelegenheiten der Malerei, Lehrer und Schwiegervater des Malers Diego Velázquez, sagte über den bedeutenden Kollegen: „Er war ein großer Philosoph (…) Er war in allen Dingen so originell wie im Malen.“ Theotokopoulos scheute sich nicht, von sich zu sagen: „So gewiß wie mein erhabenes Werk zu gering bezahlt wird, wird mein Name als der eines der größten Genies der spanischen Welt auf die Nachwelt kommen.“ Der Stadtrat von Toledo stimmte darin überein und nannte den Meister „einen der außerordentlichen Männer in seiner Kunst in diesem Königreiche und darüber hinaus“.

Einige der Bilder wurden in jüngster Zeit restauriert. Entgegen der modernen Vorstellung spontan geführter Prima-Malerei oblag El Greco der hergebrachten Malweise mit Vorzeichnungen und Untermalungen auf Bolusgründen, auf welche breit und flächig die Lasuren aufgetragen wurden. Ursprung seiner revolutionären Attitüde war eine sehr konservative handwerkliche Gesinnung, in der sich griechische Überlieferungen mit venezianischen Traditionen der Tizian- und Tintoretto-Schule verbinden. Das venezianische Abendmahl von 1568 aus der Pinakothek Bologna trägt stellenweise noch ikonenhafte Züge, während die wenige Jahre darauf in Rom entstandene Blindenheilung (Galleria Nazionale, Parma) ganz im Banne von Tintorettos Inszenierungskunst steht.

Mit seiner „Sagrada Familia“ erscheint der Maler als Protokollant der Erlebnisse der Teresa von Avila: „Was ich sehe, ist ein Weiß und Rot, wie man es nirgends sonst in der Natur findet, welches heller leuchtet und strahlt als alles, was man beobachten kann.“ Juan de la Cruz vergleicht das himmlische Licht mit blitzartigem Gewitterschein, wie er auf den Gliedern des „Heiligen Sebastian“ (1610–1614) widerscheint. Nicht die Pfeile, sein Menschsein, jäh und schmerzlich aufscheinend im Ton der bläulich perlmuttern Haut, ist die Ursache des Leidens. Ortega y Gasset bezeichnete die Malerei El Grecos einmal als „Aufforderung zum Tode“.

Die Legende vom Urahn der Expressiven und Kubisten

Dieses spätere Verständnis der Malerei ist der Aufhänger für die Brüsseler Ausstellung. Sie spitzt sich zu auf den Raum der zwölf Apostel, vor deren Vollendung der Künstler abberufen wurde. Zur Legende vom Urahn der Expressiven und Kubisten paßt das nachträglich romantisch gedeutete Nonfinito dieser Versammlung. Daran wird erkennbar, über welche Schwerpunkte ein ökonomisch arbeitender Meister seine Figuren ins Sichtbare überführte.

Dem Petrus, der die Schlüssel praktisch übereinander legt, leuchtet sein weißer Bart als hellste Stelle des Bildes wie eine Diogenes-Laterne voran. An die Figuren Pontormos erinnert der Matthäus. Er balanciert das Buch in einer Hand, während die andere die Feder hält. Diese schreibende Rechte ist durchgebildet. Der Gehalt der anderen, die nur skizziert ist, geht ganz in das von ihr gestützte Buch über, dessen Satzspiegel raffiniert an einer willkürlich aufblätternden Stelle sichtbar wird. Der pergamentene Deckel reflektiert den roten Umhang des Apostels.

Bedeutungsvoll ist das Buch für den gebildeten Maler. Der spanische Landespatron selbst, der wandernde Jakobus, von El Greco auf einem Sockel fixiert, führt einen großen Wälzer mit sich. Das Gelb unter dem Bogen wandelt sich in einen satten Goldton, gegen den das Rot des Überwurfs feierlicher glänzt, nicht so bedenklich wie die scharlachfarbigen Handschuhe des Inquisitors in der „Allegorie der Heiligen Liga“. Die fruchtbare Spannung in diesem Griechen mit italienischer Ausbildung und byzantinischen Wurzeln ließ ihn zum Erwecker und Entfalter des spanischen Nationalcharakters in der Malerei werden.

Die Ausstellung ist bis zum 9. Mai im  Brüsseler Paleis voor Schone Kunsten, Ravensteinstraat 23, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 200 Seiten kostet 29,95 Euro

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