© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

„Dutschke“ im ZDF: Leben und Wirken eines liebenswürdig lächelnden Träumers
Notorische Oberflächlichkeit
Martin Lichtmesz

Was für einen Film könnte oder müßte man über Rudi Dutschke machen?“ fragt der Interviewer. „Natürlich eine Tragödie!“ antwortet der Filmkritiker Claudius Seidl. „Ob sie wirklich spielfilmtauglich ist, würde ich bezweifeln, weil ich mich immer fragen würde: Wer wäre der Held, wer wäre der Gegenspieler? Ich zum Beispiel würde mich sehr schwertun, Rudi Dutschke als den Helden zu akzeptieren.“

Physiognomisch gut ausgewählte Darsteller

Angesichts vorausgeschickter Vorbehalte wie dieser scheinen sich die Macher des bereits vor zwei Jahren vom ZDF produzierten, lange im Regal abgestellten TV-Films „Dutschke“ (27. April, 20.15 Uhr, ZDF) ihrem Stoff gegenüber nicht allzu sicher gefühlt zu haben. Vielleicht wollten sich Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke („Sie haben Knut“, 2003), aber auch deutlich von dem naiven Anspruch des „So ist’s gewesen!“ distanzieren, mit dem „doku-fiktionale“ Filme aufzutreten pflegen. Wohlüberlegt war sicherlich die Entscheidung, den charismatischen Studentenführer eher im privaten als im öffentlichen Bereich zu zeigen.

Wie in dem Genre üblich werden die Spielszenen von Interviews mit inzwischen ergrauten Zeitzeugen und Weggefährten Dutschkes sekundiert, darunter Bernd Rabehl, Gaston Salvatore, Peter Schneider und natürlich Gretchen Dutschke-Klotz, auf deren Autobiographie der Film im wesentlichen beruht. Den ironisch kommentierenden Nachgeborenen gibt Claudius Seidl, den objektivierenden Historiker Wolfgang Kraushaar.

Physiognomisch recht gut wurden die Darsteller ausgewählt, allen voran der 1975 geborene Christoph Bach in der Titelrolle. Bach, zuletzt in dem Kinofilm „66/67 – Fairplay war gestern“ (JF 48/09) zu sehen, gehört zur Zeit sicher zu den markantesten Charakterdarstellern des deutschen Films. Allerdings unterscheidet sich sein physischer Habitus doch recht stark von Dutschkes, den Sebastian Blomberg in Uli Edels „Der Baader-Meinhof-Komplex“ (JF 40/08) um einiges authentischer zu verkörpern wußte. Fairerweise muß man allerdings einräumen, daß Krohmer und Nocke ihrem Hauptdarsteller auch nicht allzu viel zu tun gaben.

Dutschke und die Enthemmung des Gewaltpotentials

Dutschkes oft bezeugtes persönliches Charisma und seine idealistische Besessenheit werden von den noch heute in seinem Bann stehenden Zeitzeugen zwar ausgiebig beschworen, der Film-Dutschke ist aber kaum mehr als ein liebenswürdig lächelnder Träumer, dessen inneres Gefüge und dessen „Tragödie“ trotz vieler intimer Szenen verschlossen bleibt.

Krohmer und Nocke, Jahrgang 1971 und 1968, können sich tatsächlich nicht so recht entscheiden, „wer der Held, wer der Gegenspieler“ ist, und an welchem Punkt nun genau sich in den Jahren 1967/68 der politische Konflikt zuspitzte. Warum Dutschke eine solche Pogromstimmung auf sich zog, die von der Springer-Presse geschürt wurde, muß dabei ebenso vage und unverständlich bleiben wie seine konkreten politischen Forderungen.

Eine gewisse Spannung kommt nur gelegentlich auf, wenn sich etwa die Streitfrage stellt, inwiefern Dutschke zur Enthemmung des Gewaltpotentials der Studentenbewegung beigetragen hat. Wolfgang Kraushaar etwa vertritt die These, daß der „sanfte Revolutionär“ trotz aller scharfen Distanz zur „RAF-Kacke“ (Dutschke) an der Eskalation einen erklecklichen Anteil hatte. Bezeichnenderweise sparen Krohmer und Nocke jene auf Film festgehaltene gespenstische Szene aus, als der von den Folgen des Attentats schwer gezeichnete Dutschke im November 1974 am Begräbnis von Holger Meins auftauchte und die geballte Faust reckte: „Holger, der Kampf geht weiter!“

Die Filmemacher stehen offenbar in keinem erkennbaren kritischen Spannungsverhältnis zu der Vätergeneration der 68er, und so erscheint das chiliastische Irrlicht Dutschke als recht harmlose, nostalgisch umhauchte Figur, an der heute vor allem die ironiefreie Ernsthaftigkeit Probleme bereitet. Abermals Claudius Seidl: „Der meint alles so brutal beim Nennwert, daß tatsächlich sozusagen jemandem wie mir, eine Generation später, auch so angst und bange wird. Wir sind doch unheilbar an Ironie erkrankt, wir Nach-Achtundsechziger, und das ist gut so, weil es uns doch sehr immunisiert gegen Ideologie.“ Der Einspruch der Filmemacher bleibt nur zaghaft formuliert, und so leidet auch „Dutschke“ an der notorischen illustrativen Oberflächlichkeit des „doku-fiktionalen Films“

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