© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Zeitschriftenkritik: Sezession
Die Gestalt des Demokraten
Thorsten Thaler

Zu den klügsten Gegenwartsautoren hierzulande  zählt der 1952 im Banat geborene, nach Einschränkung seiner Publikationsmöglichkeiten 1987 in die Bundesrepublik ausgereiste und seither in Berlin lebende Schriftsteller und Publizist Richard Wagner. Seine essayistischen Bücher „Der deutsche Horizont“ (2006) und „Es reicht. Gegen den Ausverkauf unserer Werte“ (2008) sind als Denk- und Streitschriften lesenswert für alle, die sich um Deutschland sorgen, weil sie sich ein Sensorium für Fehlentwicklungen und deren Ursachen bewahrt haben.

Jetzt hat Wagner mit dem verantwortlichen Redakteur der Sezession, Götz Kubitschek, einen Briefwechsel geführt, der mit Zustimmung Wagners in der aktuellen Ausgabe der sechsmal im Jahr erscheinenden Zeitschrift erschienen ist. Darin geht um es Fragen der Meinungsfreiheit in einer Demokratie, um Gesinnungskontrolle und innere Zensur („freiwillige Selbstkontrolle“), es geht um die Begriffe Volk und Nation, Erscheinungen des Konformismus und eine politische Rechte, die Verfaßtheit unseres Gemeinwesens, kurz: um „das solide Ganze“ (Wagner).

Einig sind sich die beiden Diskutanten in der Feststellung, daß es in Deutschland sowohl eine verordnete als auch vor allem eine Selbstzensur des Sagbaren gibt. Als einen wesentlichen Grund dafür benennt Wagner höchst unkorrekt die Gestalt des Demokraten, der im Rückblick auf die jüngere deutsche Vergangenheit in der ständigen Angst lebe, ihm könnte die Demokratie entgleiten. Alles erscheine ihm gefährdet, von den Institutionen bis zum eigenen Glauben. Weil eine reale Gefährdung aber nicht in Erscheinung treten will, so Wagner, sucht man sie in Meinungsäußerungen aufzuspüren. Die Frage, ob man etwas überhaupt sagen dürfe, sollte sich in einer freien Gesellschaft eigentlich  erübrigen; statt dessen haben wir uns daran gewöhnt. „Unsere Leitkultur ist die Tabuisierung“, schreibt Wagner. Und weiter: „Der öffentliche Raum verfällt durch Verbote, er verödet aber auch durch Opportunismus. (…) An seinen Rändern stapeln sich die Schubladen, die die Namen der Regelverletzer und die Namen der Regelverletzungsthemen beinhalten.“

Skeptisch zeigt sich Wagner gegenüber Volk und Nation als Bezugsrahmen; beide seien „so vielfältig parzelliert und verschachtelt, daß sie kaum noch als Phänomen feststellbar sind“. Die „Gesellschaft“ habe das Volk beerbt und versorge es nun mit „Gebrauchsanweisungen“, weil es das „mehrheitlich so will oder so zu wollen glaubt“. Die „rechte Fragestellung“ habe sich zu einem „Gestus des Protests verkleinert“. Hier widerspricht Kubitschek seinem Briefpartner, insistiert auf der Diskursfähigkeit einer Neuen Rechten und fragt: „Wo ist das Ganze, was ist es wert?“

Außer dem Briefwechsel enthält die Sezession unter anderem Aufsätze über den Soziologen Helmut Schelsky, Europas Zukunft, die Brisanz der freien Rede, Propaganda im Irak, ein Interview mit dem Islamkritiker Udo Ulfkotte über „geistige Landesverteidigung“, Beiträge über Thilo Sarrazin und den Schriftsteller Christian Kracht sowie eine Fülle interessanter Buchrezensionen, die zu weiterer Lektüre anregen.

Sezession, Rittergut Schnellroda, 0628 Albersroda, Tel./Fax: 03 46 32 / 9 09 42. Das Einzelheft kostet 10 Euro, ein Jahresabo 45 Euro. Internet: www.sezession.de

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