© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Todesahnungen in der Sprache des Paradieses
Minnesänger einer vormodernen Spiritualität: Pier Paolo Pasolinis friulanische Gedichte in einer kongenialen Übersetzung
Harald Harzheim

Schon sein literarisches Debüt, der Lyrikband „Poesie a Casarsa“, sorgte 1942 für einen Skandal. Der 20jährige Pier Paolo Pasolini hatte Gedichte im friulanischen Dialekt seiner Heimat verfaßt, ihn zur Kunstsprache stilisiert. Solcher Versuch einer Weltliteratur stand in der Endzeit des Faschismus unter Verdacht des Widerstands, der Absonderung. Später wird Pasolini bewußt Skandal machen, wenn er traditionelle Land- und Vorstadtkultur gegen die „faschistische“ Konsum- und Nivellierungsgesellschaft ausspielt. Ein Programm, das er bis zu seiner Ermordung 1975 durchhielt.

Bei der Übertragung seiner frühen Lyrik in deutsche Sprache entsteht ein Problem: Verwendet man Hochdeutsch, fehlt die künstliche Brechung, die das Friulanische im Original provoziert. Auch die Verwendung hiesiger Dialekte hülfe nicht weiter: Denn längst haben die Provinzen ihre Traditionskultur aufgegeben, gegen großstädtischen Konsumismus eingetauscht – wie Pasolini am Lebensende verbittert konstatierte. Lokaler Dialekt ist also keine Sprache des Widerstands mehr.

Schade, daß es sich nicht in die Vene spritzen läßt 

Christian Filips löste das Problem, in dem er das Friulanische, die „Sprache des Paradieses“ (Pasolini), in differente Sprachformen übertrug, je nach Thema des Gedichts: in die des Kunstliedes, in soziologischen Achtundsechziger-Jargon, lutheranische Bibelsprache oder spätes Mittelhochdeutsch. Letzteres erzeugt nicht nur maximale Verfremdung, sondern erinnert auch an Pasolinis Film „Decamerone“ (1970), dessen Mittelalter Projektionsfläche für eine sinnenfrohe Traditionskultur abgab: „Da slahet Ôstermittac! / Vrische himel, clâre loup./ Buobe, wellet uliva? / Clâre Ôsterâbent, Vrische himel, clâre bach. / Uliva, uliva, uliva.“ So wird der junge Pasolini zum Minnesänger einer prämodernen Spiritualität.

„Dunckler Enthusiasmo“ ist kein Buch, das man einmal liest und dann wegstellt. Immer wieder greift man danach, blättert darin, holt sich ein Gedicht heraus. Bedauerlich, daß es sich nicht verflüssigen und in die Vene spritzen läßt: Körper und Seele gerieten in Ekstase. Dabei lügt diese Lyrik keine heile Welt. Wie der Titel verrät: Pasolinis Enthusiasmus ist dunkel. Schon den Zwanzigjährigen durchzogen Melancholie und Todesahnung: „Heute, da kleiden / Dich Seide und Liebe / heut ist ein Sonntag, / morgen ein Sterben.“

Auf dem Lande erfuhr Pasolini den Mythos der „Ewigen Wiederkehr“, dem Kreislauf, dessen Ende er später verkünden wird: Ein Jahr vor seinem Tod gelangt das lyrische Frühwerk zur Neuauflage. Darin steht neben dem Original eine Neufassung durch den Autor – von jedem Gedicht also eine 42er und eine 74er Version. Da wird politische und existentielle Resignation des Alters spürbar. So wird aus den Versen „Die Sonne schwarz von Rauch / unter dem Maulbeerstrauch / versengt Dich, und auf Grenzen / singst Du, allein, den Toten“ von 1942 in der Fassung von 1974: „Die Sonne weiß und blank / auf Neubauhäusern und Asphalt, / sie lähmt Dich, weit von allem / liebst Du die Toten nicht mehr“. Die Erfahrung des Brennens, die Ahnung von Vergänglichkeit – all das liegt begraben unter einer modernen Betonhölle.

Pier Paolo Pasolini: Dunckler Enthusiasmo – Friulanische Gedichte. Übersetzt von Christian Filips. Urs Engeler Editor, Holderbank 2009, gebunden, 330 Seiten, 28 Euro

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