© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Frisch gepresst

Afghanistan. Spätestens mit der Anbahnung von Kontakten zwischen Bundestagsabgeordneten und der Hamas verspielte der Journalist Christoph R. Hörstel 2006 den allerletzten Kredit der „hohen Politik“, da er mit dieser versuchten Neuausrichtung der Palästina-Politik die pro-israelische Doktrin Berlins herausforderte. Unbeliebt hatte sich der langjährige ARD-Sonderkorrespondent für den Nahen und Mittleren Osten da bereits mit seinen Thesen gemacht, die USA hätten lange vor dem 11. September 2001 ihr „Engagement“ in Afghanistan geplant oder hielten den Konflikt durch geheimdienstliche Unterstützung der Taliban via Pakistan künstlich am Leben. Nun porträtiert er in einer lesenswerten Analyse das Dilemma am Hindukusch, indem er folgerichtig auch die Rückzugsräume der Taliban in Pakistan in seine strategische Überlegungen mit einbezieht. In diesen formuliert er fern aller gutmenschlichen „nation building“-Rhetorik eine politisch-militärische „Exit-Strategie“, die allerdings – so befürchtet Hörstel – wegen der kriegstreiberischen Absichten der CIA-Zentrale in Langley schwer hintertrieben werde (Afghanistan–Pakistan: Nato am Wendepunkt. Kai Homilius Verlag, Berlin 2010, broschiert, 132 Seiten, 7,50 Euro).

 

Lehmann. Nicht gesetzmäßig entsteht „Weltliteratur“ allein an kosmopolitisch inspirierten Örtchen wie Pacific Palisades. Um Thomas Mann zu variieren: Es muß nicht immer Kalifornien sein, Eckernförde tut es auch. Und Weltliteratur ist in der Ostseestadt ohne jede Frage zu Papier gebracht worden. Der sie schuf, der Gymnasiallehrer Wilhelm Lehmann (1882–1968), steht für den Freiburger Germanisten Uwe Pörksen in einer Reihe mit den überragenden schleswig-holsteinischen Schriftstellern Friedrich Hebbel, Theodor Storm und Thomas Mann. Höchste Zeit sei es, diesen Dichter stärker ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Wie Mann in Lübeck, Hebbel in Wesselburen, Storm in Husum sollte auch Lehmann ein Museum in seiner Heimatstadt erhalten. Den Anspruch darauf untermauert Pörksens Göttinger Kollege Heinrich Detering, wenn er in der neuen Jahresgabe der Lehmann-Gesellschaft (Merlinszeit. Wilhelm Lehmann braucht ein Haus in Eckernförde. Wallstein Verlag, Göttingen 2010, broschiert, 104 Seiten, 10 Euro) das grandiose „Bukolische Tagebuch 1927–1932“ zu Ernst Jüngers „surrealistischem“ Prosawerk in Beziehung setzt, zur ersten Fassung von „Das abenteuerliche Herz“ (1929), zu Döblins und Brechts Avantgardismus, zur Weisheit Chinas, zum „ökologischen Klassiker“ Henry Thoreau. Schade nur, daß Detering im Eifer des Gefechts seinen anderen Hausgott, den lupenreinen Stalinisten Bert Brecht, in politisch-mortalischer Äquidistanz zu „den Nazis“ wie zum „stalinistischen Terror“ plaziert.

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