© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Ein manischer Leser
Der US-Journalist Timothy W. Ryback stöbert in den heute in Washington lagernden Resten von Adolf Hitlers Bibliothek
Malte Neumann

Ein Eva-Braun-Film steht ins Haus. Zu Jahresbeginn weckte diese Nachricht eher gedämpftes feuilletonistisches Interesse. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die launig Veronica Ferres für die Hauptrolle empfahl, signalisierte das Vorhaben lediglich den unaufhaltsamen Prozeß der Historisierung Adolf Hitlers. Das solle man unaufgeregt akzeptieren, solange die damit zwangsläufig verknüpfte „Relativierung“ des moralischen Urteils über den „Führer“ und Reichskanzler sich in erträglichen Grenzen halte.

Diese Erwartung bedient Timothy W. Ryback mit seiner Inspektion der Bibliothek Hitlers in idealer Weise. Der US-Journalist, so lobt Norbert Frei im Vorwort, präsentiere zwar den „großen Diktator“ als ebenso großen Bücherliebhaber und relativiere damit einmal mehr das ohnehin obsolete Bild vom „bloßen Monster“, verrücke aber die Maßstäbe nicht und erliege keinesfalls dem „Bann“, der „bis heute nicht völlig gebrochen ist“. In seinem Bemühen, Distanz zu halten, verzichtet Ryback daher auf eine akribische Rekonstruktion der Bildungserlebnisse des frühen Hitler, wie sie Dirk Bavendamm jüngst vorgelegt hat (JF 50/09). Er geht vielmehr, wie im Titel versprochen, streng anhand der „Bücher Hitlers“ vor – genauer gesagt, derjenigen, die vom 16.000 Bände umfassenden Bestand übriggeblieben und als Kriegsbeute in die USA verfrachtet worden sind.

Nur kümmerliche 1.200 Bände landeten nämlich in der Library of Congress in Washington. Das Gros der in der Reichskanzlei, der Münchner Wohnung und auf dem Berghof angehäuften Bücherschätze fiel in die Hände von russischen und amerikanischen Plünderern. Allein 10.000 Bände in der Reichskanzlei wurden von einer sowjetischen Trophäenbrigade „sichergestellt“ und verschwanden auf Nimmerwiedersehen in Richtung Moskau. Die Washingtoner Überbleibsel setzen jedoch Rybacks Untersuchungsziel, anhand von Hitlers Lektüre die Formierung seiner Weltanschauung zu verfolgen, sehr enge Grenzen.

Einmal abgesehen davon, daß ein Weltbild gar nicht durch Bücher entsteht, sondern lesend nur differenziert, bestätigt und verfestigt wird, fehlt es hier für eine seriöse Analyse einfach am Material: etwa an Büchern mit so aussagekräftigen Randbemerkungen oder Unterstreichungen, wie sie Paul de La­gardes „Deutsche Schriften“ aus Hitlers Bibliothek bieten. Aber Quellen dieser Güte sind längst bekannt, ebenso natürlich Hitlers Rezeption der einschlägigen Weltanschauungsproduktion von Lagarde bis zum US-Rassenideologen Madison Grant, dessen „Bibel“ vom „Untergang der großen Rasse“ Ryback in ihrer Bedeutung für die NS-Bevölkerungspolitik noch einmal konturiert, ohne damit etwas Neues zu sagen. So bestätigt er in der Regel nur Bekanntes und wählt aus den Washingtoner Rare-Books-Regalen aus, was sich zum effektvollen Abspinnen hundertfach erzählter „stories“ wie jener über die „Geburt“ von „Mein Kampf“ eignet.

Darunter findet sich immerhin die eine oder andere Perle. „Hitlers Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ beispielsweise, ein Kapitel aufgehängt an der Lektüre von Sven Hedins „Amerika im Kampf der Kontinente“ (1942), der dem Reichskanzler die unheilvolle Rolle Franklin D. Roosevelt bei der Entfesselung des Krieges im Sommer 1939 bestätigte. Oder, aus der Frühgeschichte der NSDAP, das Ringen um die Führung der Kleinstpartei, siegreich bestanden gegen den promovierten Studienrat Otto Dickel. Schon klangästhetisch wäre „Heil Dickel!“ wohl ohnehin keine Option gewesen. Aber Hitler warf seinen Widersacher dank intensiver Lektüre von dessen als „Anti-Spengler“ konzipiertem Werk „Die Auferstehung des Abendlandes“ (1921) aus dem Rennen. Soviel Verschrobenes, Betuliches, eben Studienrätliches, tat der manische Leser mühelos als politikuntauglich ab.

Auch im Bunker unter der Berliner Reichskanzlei, bis in die letzten Lebensstunden, so demonstriert Ryback anhand von Fotos der geplünderten Privaträume, sei Adolf Hitler ein Büchermensch geblieben. Der sich hartnäckig haltenden Legende, wonach auch noch am 30. April 1945 auf seinem Nachttisch nicht nur Thomas Carlyles „Friedrich der Große“, sondern auch der „Kaiser Friedrich der Zweite“ (1927) des deutsch-jüdischen Historikers Ernst H. Kantorowicz gelegen haben soll, das Lieblingsbuch jener Offiziere, die ihn am 20. Juli 1944 töten wollten – dieser Legende geht der ZDF- und CNN-Kommentator leider nicht nach.

Timothy W. Ryback: Hitlers Bücher. Seine Bibliothek, sein Denken. Fackelträger Verlag, Köln 2010, gebunden, 345 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro

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