© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Kolumne
Man ist versucht aufzuatmen
Herbert Ammon

Das belgische Parlament, sonst eher eine Schaubühne des vom „Volk“, den  zerstrittenen Flamen und Wallonen, entrückten Parteienstaates, hat in frappierender Einstimmigkeit Wundersames beschlossen: das Verbot der Burka. Man ist versucht aufzuatmen: Endlich wird in einem EU-Land der Ideologie und Praxis des Multikulturalismus ein Riegel vorgeschoben.

Behauptet das freiheitliche Europa, das einst christliche Abendland, doch noch seine „Werte“, nicht zuletzt die Würde, die Freiheit und Gleichheit der Frau gegen die bärtigen Männer aus dem Morgenland?

Skeptiker warnen im Hinblick auf den Gesetzesweg vor voreiliger Freude. Die Sanktionen für die Burka-tragenden Migrantinnen sind minimal. Ferner könnte im immigrationsfreudigen Belgien die weibliche Totalverhüllung vor männlicher Begierde Verständnis bei multireligiös und moralisch sensiblen Verfassungsrichtern finden. Zuletzt bleibt den Anwälten der glaubensfesten, um die Tugend ihrer Gattinnen und Töchter besorgten Männer noch immer der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Das kann dauern. Bis dahin opfern im Krieg gegen die Taliban „unsere tapferen Soldatinnen und Soldaten“ Gesundheit und Leben für die Befreiung von der Burka. Außerdem geht es im fernen, zehn Flugstunden nahen Afghanistan auch um Deutschlands Sicherheit, was insofern nicht völlig abwegig  ist, als nachweislich der Terror am Hindukusch und anderswo Operationsbasen gefunden hat. Daran schließen sich zwei Fragen: Sind derlei asymmetrische Kriege überhaupt zu „gewinnen“? Geht es nicht doch um den von allen „Experten“ geleugneten „Kampf der Kulturen“, um den Zusammenstoß geschlossener Kulturtraditionen mit der westlichen Moderne? Wenn ja, findet der Kulturkrieg längst hier in Europa statt – der Konflikt zwischen islamischer Monokultur und westlichem Liberalismus, dessen „Wertepluralismus“ über kein festgefügtes kulturelles Fundament verfügt.

Bei der Burka geht es nicht um den exzessiven Gebrauch von  Religionsfreiheit, sondern um grundsätzliche Fragen der „Integration“. Wird Europa  seine aufgeklärt-liberale Rechtskultur wahren und selbstzerstörerisch „Toleranz“ üben gegen Salafismus und Mehrehe? Verteidigt Europa die Gleichheit und Würde der Frau gegen die zunehmende Konversion zu Kopftuch und Schador? Welche Symbole sollen  im europäischen Kulturraum künftig gelten: die Burka oder das Schweißtuch der Veronika?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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