© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Absturz eines Hoffnungsträgers
Hamburg: Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Bülent Ciftlik steht vor Gericht, weil er eine Frau zu einer Scheinehe gezwungen haben soll
Sverre Schacht

Für den migrationspolitischen Sprecher der Hamburger SPD, Bülent Ciftlik, scheint die Luft zunehmend dünner zu werden. Der 38 Jahre alte Politiker sieht sich im Hamburger Scheinehen-Prozeß immer weitergehenden Vorwürfen von Staatsanwaltschaft und Mitangeklagten ausgesetzt. Demnach soll er nicht nur mit massiven Drohungen eine Ex-Freundin zur Scheinehe mit einem Bekannten gezwungen haben. Er habe sie auch nach „Ehe“-Schluß erpreßt und finanziell umfangreich ausgebeutet (JF 25/09). Und für die Sozialdemokraten kommt es noch dicker: Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun auch gegen einen weiteren türkischstämmigen SPD-Aufsteiger. Metin Hakverdi, ein Freund Ciftliks, steht im Verdacht, das mit Ciftlik angeklagte „Ehepaar“ als Anwalt rechtlich beraten zu haben, obwohl er um den wahren Charakter der Verbindung gewußt haben soll.

Der Prozeßauftakt gegen Bülent Ciftlik vor dem Amtsgericht Hamburg St. Georg erhärtete die Vorwürfe gegen den „Obama von Altona“, bekannt für smartes Auftreten, legere Anzüge und mitunter ungewöhnlichen Einsatz für seine Partei. Seit der Affäre um verschwundene Stimmzettel bei der Urwahl des Hamburger SPD-Vorsitzenden und der Frage nach Ciftliks Rolle darin zweifeln selbst Parteigenossen am Charakter seines Engagements. Denn Ciftlik trage nicht im gewünschten Maße dazu bei, der Partei bei der Aufklärung der Stimmzettelaffäre zu helfen.

Im Scheinehen-Prozeß gegen ihn nützt derartige Hinhaltetaktik kaum, zu dicht ist das Netz an Beweisen und Aussagen, in das sich nun auch Hakverdi verstrickt. Ähnlich wie Ciftlik errang Hakverdi bei Wahlen überraschend ungewöhnlich gute Ergebnisse. Auch deswegen laufen jetzt Ermittlungen, der Vorwurf gilt Ciftlik: Fälschung von Briefwahlunterlagen.

Als Identifikationsfigur junger Zuwanderer zählen beide zu den SPD-Hoffnungsträgern – Hakverdi in seinem an Zuwanderern reichen Wahlkreis Billstedt-Wilhelmsburg. Der dort Aufgewachsene führt eine Anwaltskanzlei, gehört dem Präsidium der Bürgerschaft an. Jetzt ruht sein Abgeordnetenmandat. Laut Staatsanwaltschaft soll Hakverdi in der auf Drängen Ciftliks geschlossenen Scheinehe der Nicole D. (33) die junge Frau beraten haben, wie sie in der Verbindung mit dem türkischen Imbißbesitzer Kenan T. „materielle Risiken“ verringern könne. Eine E-Mail der Frau an Ciftlik soll belegen, daß Hakverdi über den Plan zur Scheinehe informiert war. Hakverdi bestreitet, daß es zur Beratung kam. Allerdings hätte ihn das „Paar“ 2008 aufgesucht – auf Vermittlung von Ciftlik, so Hakverdi. Der Anwalt will nicht gewußt haben, in welcher Beziehung die Deutsche zu Ciftlik stand.

Die Staatsanwaltschaft legt Ciftlik zur Last, seine Ex-Geliebte mit Drohungen in die Ehe getrieben zu haben. Dem Ciftlik-Vertrauten Kenan T. stand damals die Abschiebung bevor. Ciftlik habe, so die Anklage, die emotionale Abhängigkeit der Frau von ihm ausgenutzt. Nun ergab die Aussage der geständigen Frau, daß Ciftlik nicht nur den für sie vertraglich vorgesehenen Lohn der Scheinehe von ihr zurückbekam, sondern sehr viel mehr Geld: Nicht 3.000, sondern 7.000 Euro habe Nicole D. für die Scheinehe von Ciftlik als Lohn erhalten und umgehend an ihn zurückgezahlt, sagt Nicole D. jetzt aus – aus Hoffnung auf eine „echte Beziehung“ mit ihm. Insgesamt habe sie dem charismatischen Sohn türkischer Einwanderer 35.000 statt der anfänglich genannten 16.000 Euro für dessen Wahlkampf geliehen, aber nach ihren Aussagen nur 900 Euro zurückerhalten.

Als die Ehe Gegenstand von Ermittlungen wurde, habe Ciftlik sie zu einer eidesstattlichen Erklärung zwingen wollen. Andernfalls drohte er damit, sein Netzwerk zu aktivieren, damit „ich zumindest in Deutschland keinen Job mehr finde“, sagt sie. Zudem soll er sie genötigt haben, Bekannte als Zeugen für die Echtheit der Ehe zu gewinnen.

Ciftlik bestreitet die Vorwürfe: „Wir hatten eine zweiwöchige Beziehung“, sagt er über Nicole D. Auch habe er nicht gewußt, daß Kenan T. schon einmal in ein Scheinehe-Verfahren verwickelt war. Trauzeuge des Paares sei er nur gewesen, weil die zwei, denen er von einer Ehe abgeraten haben will, sich seiner Auffassung nach später doch lieben gelernt und ihm im Wahlkampf geholfen hätten.

Im Falle einer Verurteilung drohen Ciftlik bis zu drei Jahre Haft. Seine Karriere in der SPD, wegen der Stimmzettelaffäre bisher nicht ernstlich bedroht, steht ebenfalls vor dem Aus. Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz, einst Ziehvater Ciftliks, ist sich mit dem Fraktionsvorsitzenden Michael Naumann einig: „Wenn der Abgeordnete Ciftlik verurteilt wird, hat er keine politische Zukunft mehr in der SPD und der Bürgerschaftsfraktion.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen