© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

DVD: Dokumentation
Gnadenlos
Werner Olles

Gewalt gegen Journalisten ist nicht nur in Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten oder in Diktaturen, sondern fast überall an der Tagesordnung. Allein im letzten Jahr sind weltweit etwa hundert Journalisten während ihrer Arbeit oder aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit getötet worden. Zu diesen Opfern zählte der renommierte französische Dokumentarfilmer und Fotoreporter Christian Poveda. Über mehrere Jahre hatte der als Sohn spanischer Eltern in Algier geborene Poveda in den berüchtigtsten und gefährlichsten Slums und Armenvierteln der Vorstädte San Salvadors die Hintergründe von Haß, Gewalt und Verzweiflung der „Maras“ erforscht, jener brutalen Jugendbanden, die den Staat, die Gesellschaft und sich gegenseitig gnadenlos bekämpfen.

Mit Povedas aufrüttelnder und schockierender Dokumentation „La Vida Loca – Die Todesgang“ entstand schließlich 2008 ein außergewöhnliches Filmprojekt. Geprägt von einer zutiefst humanistischen Überzeugung, zeigt Poveda in dieser filmischen Montage, bei der Szene für Szene aussagekräftiger als jeder Kommentar ist, die verlorene Generation Zentral­amerikas.

Zwei Banden, die Mara 18 und die Mara Salvatrucha, insgesamt etwa 14.000 verlassene Jugendliche, die ihr Leben den Gangs weihen, die ihnen die Familie ersetzen, bekämpfen sich in San Salvador. Sie sind die Erben von amerikanischen Gangs, die in den achtziger Jahren von salvadorianischen Bürgerkriegsflüchtlingen gegründet wurden. Ursprünglich entstanden in den Elendsvierteln, Ghettos und heruntergekommenen Straßenschluchten von Los Angeles, sind die Mythen und Legenden der Maras nun tief in Mittelamerika verwurzelt.

Über ein Jahr hat Poveda unter den Mitgliedern der „Mara 18“ verbracht, um ihr Leben und ihre Kämpfe, die von unvorstellbarer Gewalt bestimmt werden, zu dokumentieren. In dieser Welt, die keine Gnade kennt, gelangen ihm erschütternde Bilder. Zwanzig Jahre nach dem blutigen Bürgerkrieg zwischen linker Guerilla sowie rechten Paramilitärs und der Armee, der das Land verwüstete, tobt hier inzwischen ein anderer, ebenso schrecklicher Bürgerkrieg. Seine furchterregenden „Helden“ sind Jugendliche, die mit 12 oder 13 Jahren einer der rivalisierenden Gangs beitreten und ihr Leben für sie opfern. In diesem Niemandsland aus Gesetzlosigkeit und Repression haben die beiden Gangs ihre codierte Sprache, ihre Riten und ihre Tätowierungen, sie hassen sich gegenseitig und führen einen weder mit ideologischen noch religiösen Unterschieden zu rechtfertigenden Kampf bis aufs Blut.

Die Mordrate in El Salvador ist inzwischen die höchste in ganz Lateinamerika. Zwischen täglichen Polizeirazzien und quasi permanent stattfindenden Trauerfeiern ist der Krieg der Gangs allgegenwärtig und holt der Tod sich laufend seine Opfer. Am 2. September 2009 wurde Christian Poveda in El Salvador vermutlich von einem Mitglied jener Jugendbande, die er für „La Vida Loca – Die Todesgang“ ein Jahr lang mit dem ihm eigenen Respekt und kritischen Verständnis begleitet hatte, mit vier Kopfschüssen ermordet. Sein Vermächtnis ist diese packende Reise ins Herz der Finsternis.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen