© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Die Rückkehr der vier Musketiere
Verfassungsgericht: Einst haben sie versucht, die D-Mark zu retten, nun wehren sich die Euro-Kläger gegen die Zahlungen an Griechenland
Hinrich Rohbohm

Es war der 25. Juni 1673, als D’Artagnan im Französisch-Niederländischen Krieg zu jenen Soldaten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. gehörte, die die Stadt Maastricht belagerten. Es sollte seine letzte Schlacht werden. Ein Musketenschuß in die Kehle bereitete dem Leben des aus zahlreichen Büchern und Filmen bekannten Helden ein jähes Ende. In Maastricht. Jener Stadt, in der mehr als 300 Jahre später, am 7. Februar 1992 der Vertrag von Maastricht unterzeichnet werden sollte. Ein Vertrag, der unter anderem die Grundlage für eine spätere gemeinsame europäische Währung legen sollte: den Euro. Neues Geld, das sich spätestens seit der Finanzkrise in Griechenland als instabil erweist. War Maastricht der Musketenschuß in die Kehle  europäischer Bürger?

Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty würden diese Frage wohl mit einem Ja beantworten. Sie sind die vier Musketiere der Gegenwart. Kämpfer und Warner vor dem Euro. Der Rechtswissenschaftler Karl Albrecht Schachtschneider hatte schon 1992 den späteren Vorsitzenden des Bundes Freier Bürger (BFB) Manfred Brunner bei dessen Klage gegen den Maastricht-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Doch die Verfassungsrichter wiesen die Klage ab, die sich unter anderem darauf berief, daß durch die Übertragung von Souveränitätsrechten an die Europäische Union der Deutsche Bundestag entmachtet und damit das Demokratieprinzip unterhöhlt werde. Außerdem würden deutsche Grundrechte verletzt, da über grundrechtsrelevante Themen nun auf europäischer, nicht aber auf deutscher Ebene entschieden werde.

1998 unternahm Schachtschneider einen weiteren Versuch, die von den Politikern losgetretrene Euro-Lawine zu stoppen. Es fand sich das Quartett Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty zusammen. Wie einst die Musketiere sahen sie sich einer Übermacht von Gegnern ausgesetzt. „Die Einführung des Euro war die größte monetäre Katastrophe unseres Jahrhunderts“, sagt Wilhelm Hankel.  Der 81jährige gehört zu den Euro-Kritikern der ersten Stunde. Ende der sechziger Jahre gehörte er zu den engsten Mitarbeitern des damaligen Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller (SPD), leitete dort die Abteilung Geld und Kredit, ehe er 1972 Präsident der hessischen Landesbank wurde. „Man kann keine inhomogenen Staaten über eine Währungsunion zusammenführen. Das kann gar nicht gutgehen, das ist so, als wenn man Pferde vor ein Auto spannt“,  ist er überzeugt. Statt einer notwendigen Stabilitätsunion sei aus der Währungsunion eine „Trittbrettfahrer-Union“  geworden. „Wir waren Störer. Man hat uns als Anti-Europäer beschimpft“, erinnert sich Hankel an die Reaktionen auf die Klage. Er selbst sei gar als „D-Mark-Nationalist“ bezichtigt worden, die Medien hätten ihn damals regelrecht „geschnitten“.

„Deutschland ist im Eimer“, bringt es Wilhelm Nölling auf den Punkt. Der ehemalige Hamburger Finanzsenator und Landeszentralbankchef erinnert sich noch gut an die Beschimpfungen gegen die Euro-Skeptiker. „Kohl nannte uns diejenigen, die im Misthaufen der Geschichte herumwühlen.“ Für ihn bleibe es jedoch dabei, daß die Einführung des Euro ein Fehler war. Nölling: „Wir hatten recht, ohne den Euro wäre es nicht zu dieser Krise gekommen.“ Leider würden dieselben Fehler heute wieder gemacht. Denn mit der Zustimmung des Bundestages zur Zahlung an Griechenland  hätten die Banken gewonnen. „Man wird schnell merken, daß das Geld nicht reicht“, sagt Nölling.

Man hat uns damals totgeschwiegen“, weiß auch der Staatsrechtslehrer Karl Albrecht Schachtschneider über die damalige Situation zu berichten.  Jedoch hätten ihm damals nicht wenige Kollegen heimlich auf die Schulter geklopft. „Die waren froh, daß es überhaupt jemanden gab, der klagte“, schildert Schachtscheider die einstige Situation unter Fachleuten.

 „Zu viele Verfassungsrechtler sind heute Opportunisten“, beklagt der emeritierte Professor für Öffentliches Recht an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Man müsse das wohl sein, wenn man Karriere machen will. Wenn man Preise, Auszeichnungen und Verdienstmedaillen bekommen wolle. Ihn interessiere das nicht. Schachtschneider will freier Bürger bleiben, unabhängig, kein Untertan. Zu viele Menschen seien heute lediglich „reine Konsumenten“. Für Medaillen müsse man korrupt sein. Da verzichte er lieber auf Meriten, auf gesellschaftliche Huldigung.

Viele Richter und Wissenschaftler seien nicht unabhängig, seien parteipolitisch gebunden. Schachtschneider sieht darin einen Grund, warum seine mahnenden Worte zum Euro in der verfassungsrechtlichen Literatur kaum Berücksichtigung fanden. „Sie lasen meine Bücher einfach nicht“, beschreibt er, wie er von Fachleuten ignoriert wurde.  Doch während er mit seiner Euro-Kritik bei Professoren auf Zurückhaltung stoße, erhalte er von seinen Studenten großen Zuspruch. „Im Ausland hatte ich mit meiner Klage gegen den Maastricht-Vertrag mehr Aufmerksamkeit erfahren als in Deutschland.“ Besonders in China sei man an seinen Ausführungen sehr interessiert gewesen. „Nach Maastricht hat man die Finanzmärkte völlig von der Leine gelassen“, sagt Schachtschneider. Das Resultat sei die „völlige Entmachtung der Völker“.

„Wir wurden als die Ewiggestrigen angesehen“, erinnert sich Joachim Starbatty ebenfalls an die ablehnenden Reaktionen auf die Warnungen der vier Wissenschaftler. Der Euro sei eine „Operation am offenen Herzen“ gewesen, meint der emeritierte Professor der Volkswirtschaftslehre, der seit 1991 Vorstandsvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft ist. Griechenland müsse aus der Währungsunion austreten und zur Drachme zurückkehren, die Zahlungen der EU an den Mittelmeer-Staat machten keinen Sinn.

„Das Geld liefert der Postbote am Vordereingang von Athen ab. Da nimmt es der griechische Ministerpräsident in Empfang. Und dann gibt es die Regierung am Hintereingang den Banken“, erläutert Starbatty. Daß ähnliches wie in Griechenland auch in Portugal und Spanien geschehen wird, hält Starbatty für „wahrscheinlich“. Auch sei mit einer starken inflationären Entwicklung zu rechnen, wenn sich die Währungsunion über eine Haftungsgemeinschaft zur Schuldengemeinschaft entwickle. „Dann wird der Euro weich“, warnt Starbatty. Sein Lösungsvorschlag: die Bildung einer harten Währungsgemeinschaft aus weniger Ländern, ohne die südeuropäischen Nationen.

 „An der Griechenland-Krise haben einige wenige verdient, aber das Volk muß leiden“, meint Joachim Starbatty, der noch immer Vertrauen in die Vernunft des Bundesverfassungsgerichts legt, das 1998 die Klage der vier Euro-Kritiker abgeschmettert hatte. „Damals hatten die Richter gesagt, unsere Kritik basiere lediglich auf Prognosen. Aber diesmal liegt ein konkreter Verstoß gegen den Maastricht-Vertrag vor“, sagt der Ökonom.

Deshalb haben sich die vier Euro-Rebellen wieder zusammengefunden und erneut eine Klage eingereicht. Diesmal gegen die Bewilligung eines Milliarden-Kredits an Griechenland, der nach ihrer Auffassung gegen EU-Recht und das Grundgesetz verstößt. Zum Gang nach Karlsruhe am vergangenen Freitag hat sich nun ein fünfter Musketier gesellt.  Der ehemalige Vorstandvorsitzende der Thyssen AG Dieter Spethmann hat sich den Euro-Rebellen angeschlossen. Der Eilantrag des Quintetts wurde am Wochenende zwar postwendend vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Die Klage selbst wurde jedoch angenommen. 

Vorbei sind nun die Beschimpfungen, die vier Wissenschaftler sind heute als Gesprächspartner gefragter denn je. Wilhelm Hankel etwa kann sich derzeit vor Medienanfragen kaum retten. „Ständig muß er Vorträge halten und Interviews geben, er ist schon fix und fertig“, sagt seine Frau. Er selbst bestätigt: „Früher waren wir wegen der Ignoranz konsterniert. Jetzt haben uns die Medien wiederentdeckt. Allein heute habe ich drei Interview-Anfragen bekommen.“ Und so geht der Kampf der Musketiere weiter. „Um zu retten, was zu retten ist“, sagt Schachtschneider. Wie einst bei D’Artagnan und Co.

Foto: Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty (v.l.n.r.) am vergangenen Freitag in Karlsruhe: „Das Volk muß leiden“

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