© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Schwarz-gelbe Rohrkrepierer
Landtagswahl I: Die Abwahl hat die Union in Nordrhein-Westfalen in eine Schockstarre versetzt und läßt die SPD jubeln
Ansgar Lange

Ein Ergebnis der nordrhein-westfälischen Landtagswahl stand bereits kurz nach Schließung der Wahllokale fest: Die schwarz-gelbe Regierung wurde deutlich abgewählt. Die Ursachen dafür liegen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Nun stehen zwei Optionen zur Wahl. Entweder geht die SPD den vermeintlich einfachen Weg und schmiedet ein Bündnis mit der demoralisierten und gedemütigten CDU, oder sie versucht es in einer gewagten Dreierkoalition mit den Grünen und der Linkspartei. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft weiß: Der Vertrauens- und Sympathievorsprung, den sie sich erarbeitet hat, kann schnell wieder aufgebraucht sein.

Jürgen Rüttgers sieht sich dagegen wohl nicht zu Unrecht auch als Opfer des miserablen Starts der Berliner Koalition. Die Landtagswahl war ein deutlicher  Warnschuß für die christlich-liberale Regierung. Nach der gewonnenen Bundestagswahl im vergangenen Jahr galt die Devise: Bloß nichts riskieren. Das Bündnis in Berlin wurde, so Spötter, zur größten Nichtregierungsorganisation. Doch solche Herumtaktiererei goutieren die Wähler offenbar nicht. Nun wird das „Durchregieren“ für die Berliner Koalition aufgrund der verlorenen Mehrheit im Bundesrat ohnehin unmöglich werden.

Bei vielen in der NRW-Union steht der Schuldige für die Niederlage schon fest. Der ungeliebte Außenminister Guido Westerwelle muß einmal mehr herhalten, wenn gefrustete CDU-Strategen, die selbst einen lauen Wahlkampf hingelegt haben, von der eigenen Schwäche ablenken wollen.

Grundfalsch war auf jeden Fall die Stilisierung von Ministerpräsident Rüttgers zum „Arbeiterführer“. Diesem Anspruch ist der kühle Rheinländer nie gerecht geworden. Zudem ist die CDU – wenn überhaupt noch – der katholischen Soziallehre verpflichtet. Eine Arbeiterpartei war sie dagegen nie.

Wie, so fragen sich viele in der Partei, will man die eigenen Wähler mobilisieren, wenn der Spitzenkandidat sich als Wiedergänger von Johannes Rau präsentiert, der doch mitverantwortlich war für den Filz in NRW? Auch völlig entpolitisierte Wahlkampfformate wie „Ein Abend mit Angelika und Jürgen Rüttgers“ erweisen sich in der Rückschau als Rohrkrepierer. Viele werden hoffen, daß die NRW-CDU nun endlich wieder den Mittelstand und die Mittelschicht entdeckt und sich nicht nur um Zuwanderer und Alleinerziehende zu kümmern scheint.

Nach dem amtlichen Endergebnis erhält die CDU 34,6 Prozent der Stimmen, die SPD 34,5 Prozent. Die Grünen kommen auf 12,1 Prozent, die FDP auf 6,7 Prozent und die Linken auf 5,6 Prozent. Sonstige Parteien erhielten 6,5 Prozent (siehe Kasten). Im Düsseldorfer Landtag erhalten damit CDU und SPD jeweils 67 Sitze, die Grünen 23, die FDP 13 und die Linke elf. So verfügen weder Rot-Grün noch CDU und Grüne über eine Mehrheit. Rechnerisch möglich wären eine Große Koalition oder ein rot-rotes-grünes Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linkspartei. Falls es zu einem Zusammengehen der beiden geschrumpften Volksparteien kommen sollte, werden die Grünen die mit Abstand größte Oppositionspartei sein.

Eine große Verliererin ist ohne Frage Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vorbei sind endgültig alle schwarz-gelben Träume, die 2004 mit der Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten begonnen hatten. In allen wichtigen Fragen können Union und FDP in Zukunft nicht alleine entscheiden. De facto droht Deutschland wieder eine Große Koalition, wenn es um große Vorhaben wie Gesundheits- oder Steuerreform geht.

Indes vermuten manche Beobachter in Berlin, daß Merkel insgeheim sogar froh darüber ist, sich nun auch wieder mit der SPD verständigen zu müssen. In der Großen Koalition, so erinnern sich viele, hat sich Merkel wesentlich wohler gefühlt als in der vermeintlichen Wunschehe mit der FDP.

Auch auf SPD-Frontfrau Hannelore Kraft kommt jetzt eine große Verantwortung zu, schließlich geht es bei der anstehenden Regierungsbildung, bei der ihr eine Schlüsselrolle zufällt, um die Zukunft eines bedeutenden Industrielandes. Es besteht die Sorge, daß es unter einer Ministerpräsidentin Kraft nicht unbedingt besser werden wird in NRW, sondern vor allem teurer. Daß die Sozialdemokraten nicht mit Zahlen umgehen können, beweisen sie schon, indem sie ein eigentlich desaströses Wahlergebnis in NRW zu einem grandiosen Wahlsieg schönreden. Immerhin hat die Partei, die nun vor „lauter Kraft“ nicht laufen kann, ihr schlechtestes Wahlergebnis seit rund 50 Jahren in Nordrhein-Westfalen eingefahren, auch wenn sie sich gegenüber der Bundestagswahl verbessert hat.

In den nächsten Tagen wird wieder viel von der staatspolitischen Verantwortung die Rede sein: davon, daß alles andere als eine große Koalition unverantwortlich sei. Für Jürgen Rüttgers ist die Zeit in Nordrhein-Westfalen wohl abgelaufen. Schon wird über eine Beförderung von Integrationsminister Armin Laschet zum Ministerpräsidenten spekuliert. Vielleicht bringt aber auch eine Koalition zwischen SPD, Grünen und Linkspartei die Verhältnisse zum Tanzen. Dann hätte das bürgerliche Lager zumindest die Chance, sich in der Opposition wieder zu regenerieren.

Foto: SPD-Spitzenkandidatin Kraft und Ministerpräsident Rüttgers (CDU) am Wahlabend: Steht Armin Laschet vor der Beförderung?;

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