© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

„Viel Arbeit und ein großer Beschiß“
Karl-Heinz Göttert plätschert mit seiner Biographie der deutschen Sprache nur im Seichten
Thomas Paulwitz

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Buch über die Geschichte der deutschen Sprache ist – gelinde gesagt – mit Vorsicht zu genießen. Es ist – ungelinde gesagt – unzuverlässig, fehlerhaft und einseitig parteiisch. Über die sprachwissenschaftlichen Mängel hat Hans-Martin Gauger in der Frankfurter Allgemeinen das Notwendige geschrieben. Gauger war wie Göttert und der Rezensent „Experte“ im „Reading Room“ der FAZ. Dieses Diskussionsforum beschäftigte sich vor zwei Jahren mit Jutta Limbachs Buch „Hat Deutsch eine Zukunft?“ Im Laufe der Diskussion benannte die FAZ schließlich den „Reading Room“ in „Lesesaal“ um.

Göttert beteiligte sich mit einer Reihe von Stellungnahmen an den Erörterungen. Dabei nahm er stets die in der Sprachwissenschaft so beliebte wie ungefährliche „Laisser faire“-Haltung ein: alles nicht so schlimm. Die überaus zaghafte Kritik Limbachs am Zustand der deutschen Sprache ging ihm schon zu weit. So sähe Göttert zum Beispiel keine Schwierigkeit darin, wenn in der Europäischen Union Englisch als Einheitssprache eingeführt würde. Göttert „schwebte vor, als Entgegnung auf Limbachs Buch ein eigenes vorzulegen, in dem zu zeigen wäre, wie sich das Deutsche heute unter den Voraussetzungen der Globalisierung behaupten könne“. Dieser Absicht wurde nun entsprochen.

Göttert ist zu sehr Literaturgeschichte, zu wenig Sprachgeschichte. Das ist freilich kein Wunder, denn Göttert ist von Hause aus Literaturwissenschaftler. Die Abschnittsüberschriften verwirren eher, als daß sie weiterhelfen: „Lippe, Blutgeld und holdselige Maria“ etwa, oder „Hörspiel mit Würsten, Käse und sehr viel Alkohol“ oder „Viel Arbeit und ein großer Beschiß“. Was hat sich der Leser darunter vorzustellen? Hier wären zumindest erklärende Unterüberschriften angebracht gewesen. „Das eigentliche Problem ist aber“, stellt Gauger fest, „daß, was an Information gegeben wird, immer wieder eindeutig nicht richtig ist und die Unrichtigkeiten im Fortgang zunehmen.“ Ein vernichtendes Urteil, das jedoch so eindeutig wie richtig ist; etwa, wenn Göttert den Beginn der französischen Sprachpolitik nicht, wie es eigentlich gewesen ist, der Französischen Revolution zuschreibt, sondern dem französischen Königtum des 15. Jahrhunderts; oder wenn er bei den Straßburger Eiden 842 durcheinanderbringt, welcher König in welcher Sprache schwor.

Doch auch ohne Gaugers Vorwarnungen stellt sich schnell heraus, wie dürftig dieses Buch ist. Unfreiwillig lächerlich macht sich Göttert, wenn er für das Übermaß französischer Fremdwörter, das im 19. Jahrhundert herrschte, den Französischunterricht an Gymnasien verantwortlich macht. Das wäre so, als ob jemand behauptet, zu viel Englischunterricht sei heute am „Service Point“ der Deutschen Bahn schuld. Dabei ist das prahlerische Verwenden von Modewörtern alles andere als ein Zeichen von Bildung. In dem Sinnspruch „Der Ungebildete braucht die Fremdwörter verkehrt, der Halbgebildete richtig, der Gebildete gar nicht“ steckt viel Wahres.

Fremdwortkritik tut Göttert jedoch pauschal als „Unsinn“ ab. Dahinter stecke doch bloß „Fremdenangst“. Sein Haß auf den „Nationalismus“ der Sprachvereine des 19. Jahrhunderts ist offenbar so groß, daß er nicht nur allen Ernstes die Verhaftung Friedrich Ludwig Jahns durch Metternich verteidigt, sondern auch die zahlreichen heutigen Sprachvereine mit keiner Silbe erwähnt. Es gelingt ihm das Kunststück, über Anglizismenkritik zu schreiben, ohne die Kritiker zu erwähnen. Seine Begründung für die derzeitige Verdrängung deutscher Wörter ist haarsträubend und verharmlosend: „Die deutsche Sprache war lange Zeit künstlich von der internationalen Entwicklung ferngehalten worden und holt nun nach, was andernorts bereits Realität ist.“

Was Göttert zur Rechtschreibreform schreibt, grenzt an Geschichtsklitterung. Nicht die Duden-Redaktion hat die Reform durchgesetzt, wie er behauptet, sondern die Kultusministerkonferenz. Während er die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die er fälschlicherweise unter das Dach des Deutschen Sprachrats stellt, über den grünen Klee lobt, verschweigt er völlig den Widerstand der organisierten Gegner der Rechtschreibreform.

Diese Ahnungslosigkeit ist erstaunlich, hat sich Göttert doch selbst eingehend mit der Reform beschäftigt. So hat er ein eigenes, über eintausend Seiten starkes „Neues Deutsches Wörterbuch“ herausgegeben, das die Reformschreibungen „weiter gehend“ erläutert, wie auf dem Schutzumschlag zu lesen ist; ein Buch, das mit einem Kampfpreis von 4,99 Euro in hoher Auflage über Aldi vertrieben wurde. Des weiteren hat Göttert den Rechtschreib-Ratgeber „Es gibt keinen Kuß mehr“ verfaßt. Jetzt ist klar, warum er der Duden-Redaktion den Schwarzen Peter zuschieben will. Göttert verantwortet ein Konkurrenzerzeugnis, das mit einer aggressiven Preispolitik dem Duden Marktanteile streitig macht.

Alles in allem handelt es sich um eine leider allzu lässig hingeschluderte Arbeit: Göttert hat schlampig recherchiert und sich wohl eher durch Hörensagen unterrichtet. Aus diesem schönen Thema hätte man mehr machen können. Schade!

Karl-Heinz Göttert: Deutsch – Biographie einer Sprache, Ullstein Verlag, Berlin 2010, gebunden, 304 Seiten, 19,95 Euro

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich erscheinenden „Deutschen Sprachwelt“

Foto: Buchstabensuppe: Englisch als Einheitssprache für die EU

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