© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Sturm auf Berlin
Eine materialreiche Studie über die Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945 mit antifaschistischem Duktus
Claus Maurer

Ideale „Erste Sätze“ fesseln den Leser, ziehen ihn derart in den Text hinein, daß er sich erst auf der letzten Seite wieder befreit. Vom „Ersten Satz“ hingegen, den Gerd-Ulrich Herrmann und Uwe Klar für ihr Epos über „Hintergründe, Vorbereitung und Verlauf der Schlacht um die Seelower Höhen“ wählen, geht eine vergleichbar suggestive Gewalt nicht aus. Ganz im Gegenteil: „Als der Krieg das Territorium erreichte, von dem er ausgegangen war, stand vor den Alliierten die schwierige Aufgabe, gemeinsam endgültige Entscheidungen über die politischen und militärischen Ziele nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Staates und seiner bewaffneten Formationen zu treffen.“

Allein dank der Ersetzung des „faschistischen“ durch den „nationalsozialistischen“ Staat vermeiden die Verfasser dieses schauerlichen Gestelzes mit Ach und Krach eine hundertprozentige SED-Phrase. Aber dieses Honecker-Deutsch sollte man den Autoren aus zwei Gründen nicht übelnehmen. Zum einen haben sie es nicht anders gelernt, denn Herrmann ist Absolvent der Militärakademie „Friedrich Engels“, Klar durchlief gar die Moskauer Frunse-Akademie.

Zum anderen liefern diese beiden, den Zeiten von „Waffen- aus Klassenbrüderschaft“ ein klein wenig nachtrauernden Ex-NVA-Offiziere eine im besten Sinne typisch deutsche, im Präzisionsgrad nur von Schweizer Uhren und Fahrplänen der Reichsbahn übertroffene „Schlachtbeschreibung“ (Alexander Kluge). Irgendwann stört ihr schräger Sowjetismus nicht mehr und man beginnt die Akribie zu schätzen, mit der sich Herrmann & Klar, die bei den Kriegsverbrechen von Stalins Horden den Ball selbstredend eher flach halten, dem rotarmistischen Ansturm auf die Reichshauptstadt widmen.

Die russischen Quellen verwertend, schildern sie in einer generalstabsmäßigen Rekonstruktion der Ereignisse im Frühjahr 1945, unter welch ungeheuren Opfern (300.000 Tote und Verwundete) sich die Rote Armee an Berlin herankämpfte und damit in den letzten Kriegstagen einen höheren Blutzoll entrichtete als die Deutschen in ihrer Satlingrader Katastrophe. Da sie die verbrecherischen „Begleiterscheinungen“ dieses Vormarsches, die Mordbrennereien, Vergewaltigungen und Plünderungen in den deutschen Ostprovinzen jenseits der Oder wie auch in Brandenburg und Vorpommern, weitgehend ausblenden, bewerten die Autoren den erbitterten deutschen Widerstand, der vielen Zivilisten das Leben rettete, so konsequent wie falsch als „sinnlos“. 

Auch die vorzügliche Ausstattung des Bandes mildert manche von derartig politisch korrekten Schroffheiten. Hingewiesen sei auf seltene Aufnahmen: Adolf Hitler bei seinem Frontbesuch am 9. März 1945 in Harnekop, das bizarre Gefechtsfoto von sowjetischen Fluß-Kanonenbooten auf der Oder sowie jene vom „Seelower Volkssturm“, der physiognomisch zwar Theodor Fontanes Klage bestätigt, daß „der Märker“ so gar nichts „Gefälliges“ habe, der aber ahnen läßt, daß dank solch derb-kantiger Typen die Heimatverteidigung keineswegs so aussichtslos war, wie Herrmann & Klar uns glauben machen wollen.

Gerd-Ulrich Herrmann, Uwe Klar: Der Schlüssel für Berlin. Hintergründe, Vorbereitung und Verlauf der Schlacht um die Seelower Höhen. Helios Verlag, Aachen 2010, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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