© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

„Die Reißleine zieht man, wenn man im freien Fall ist“
Ist der Euro noch zu retten? Oder reißt er Deutschland mit ins Verderben: Austritt aus der Euro-Zone jetzt? Nur nicht die Nerven verlieren, mahnt der renommierte Ökonom Manfred J. M. Neumann. Handeln bevor es zu spät ist, fordert der Wirtschaftspublizist Günter Hannich. – Ein Pro und Contra.
Moritz Schwarz

Herr Professor Neumann, soll Deutschland jetzt „raus aus dem Euro“?

Neumann: Nein, Deutschland und die solideren Länder werden zusammenbleiben. Sollte dagegen Griechenland austreten oder im Falle eines nicht auszuschließenden Bankrotts austreten wollen, wäre das für alle Beteiligten gut.

„Focus Money“ titelt allerdings bereits: „Ich will meine D-Mark zurück!“

Neumann: Das ist unrealistisch. Man sollte sich nicht eine romantisierte D-Mark zurückwünschen, sondern sich fragen, wie die Währung der Europäischen Union als stabile Währung erhalten werden kann.

Vielleicht, fragt sich der Bürger, sollte man eben genau das nun nicht mehr tun?

Neumann: Das wäre sehr kurzsichtig. Emotionale Reaktionen führen in die Irre.

Ende letzter Woche hat die Kanzlerin angekündigt, für die „Stabilität des Euros zu kämpfen“. Tut sie das tatsächlich?

Neumann: Ja, die Kanzlerin versucht den Euro zu erhalten. Es geht ihr darum, eine Härtung des Stabilitätspakts durchzusetzen. Auf finanziellen Beistand können bedrohte Mitgliedsländer nur rechnen, wenn sie schlagkräftigeren Regeln zustimmen und nachweislich große Anstrengungen zur Konsolidierung ihrer Haushalte unternehmen.

In Brüssel ließ sie allerdings zu, daß der Euro-Stabilitätspakt jetzt aufgeweicht wurde.

Neumann: Dem Stabilitätspakt fehlte von Anfang an der Biß, weil es keine Automatik von Sanktionen im Falle der Regelverletzung gab. Kanzler Gerhard Schröder und sein willfähriger Finanzminister Hans Eichel taten ein übriges und signalisierten den europäischen Partnern, daß man den Stabilitätspakt nicht härten, sondern aufweichen müsse.

Die „Wirtschaftswoche“ erklärt Frau Merkel bereits per „Todesanzeige“ zur Totengräberin des Euro und „Spiegel Online“ urteilt über ihre Politik, sie habe „alle Grundsätze einer stabilen Währung über Bord gekippt: Willkommen in der Inflationsunion!“  

Neumann: Es gibt immer Medien, die mal ausflippen und uns Katzenmusik bieten. Die Weltgeschichte ist nicht so einfach, wie es mancher gern hätte.

Sie selbst gehörten ursprünglich zu den prominenten Euro-Kritikern – warum?

Neumann: Mit den Kollegen Roland Vaubel, Renate Ohr und Wim Kösters habe ich 1998 eine kritische Stellungnahme verfaßt, die von 155 Professoren unterschrieben wurde. Ein Haupteinwand betraf genau die Probleme, die heute Griechenland und anderen zu schaffen machen. Es fehlt an fiskalpolitischer Disziplin, die Haushalte werden nicht wirklich konsolidiert, man lebt über seine Verhältnisse. Wir prognostizierten, daß auch der Stabilitätspakt nicht für haushaltspolitische Disziplin in Europa sorgen würde.

Warum haben Sie sich damals nicht den legendären vier „Euro-Rebellen“ Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty (JF 20/10) angeschlossen? Ihre Beteiligung als renommierter Ökonom hätte Gewicht gehabt.

Neumann: Die vier lehnten die Einführung einer gemeinsamen Währung ab. Wir dagegen lehnten den Euro nicht rundherum ab, sondern urteilten: „Der Euro kommt zu früh.“ Wir waren der Auffassung, daß eine gemeinsame Währung nur funktionieren kann, wenn in jedem Mitgliedsland der Währungsunion die Verfassung der Staatsfinanzen in Ordnung gebracht worden ist und der Arbeitsmarkt hinreichend flexibel funktionieren kann. Die notwendigen Strukturreformen fehlten damals völlig.

Welche Chancen geben Sie der erneuten Verfassungsbeschwerde der vier?

Neumann: Der Beschwerde gebe ich keine Chance. Artikel 122 des Unionsvertrages erlaubt es, finanziellen Beistand zu leisten, wenn ein Mitgliedstaat aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen, gravierend bedroht ist. Zwar hat Griechenland durch jahrelangen Schlendrian die jetzt eingetretene Lage selbst verschuldet, aber es wird jetzt von einer Spekulationswelle überrollt, gegen die es kurzfristig nichts ausrichten kann. Allerdings bedeutet „kurzfristig“ sicherlich nicht drei, sondern ein bis zwei Jahre, in denen Umkehr zu disziplinierter Haushaltspolitik nachgewiesen wird.

Das Hauptargument der vier lautet, es sei nicht möglich, so viele Volkswirtschaften unter einen Währungshut zu bringen – außer die Wohlhabenden zahlen unablässig für den Ärmeren.

Neumann: Nein, es geht ohne Transfer­union, wenn man für hinreichend flexible Strukturen sorgt und bereit ist, jeden zu verabschieden, der die Clubregeln nicht respektiert.

In einem Aufruf an die Bürger per Anzeige in der „FAZ“ vom 12. Mai nennen die vier den 750 Milliarden-„Rettungsschirm“ für Griechenland eine „die Rechtsgrundlagen Europas zerstörende ... tickende Zeitbombe“.

Neumann: Das Hilfsprogramm soll den Bankrott Griechenlands und anderer Südländer verhindern. Ob diese „Rettungen“ gelingen, ist offen – das hängt von den Anstrengungen jener Länder ab. Sollte es zu Staatsbankrotten kommen, so dürften die betreffenden Länder aus dem Euroverbund ausscheiden. Das könnte man eine „schöpferische Zerstörung“ nennen. Denn durch das Ausscheiden der zu schwachen Mitglieder würde der verbleibende Euro zwar kleiner, aber nicht schwächer, sondern stärker. Zugleich würde es den Schwachen leichter, mit einer eigenen Währung wieder auf die Beine zu kommen.

Die Garantien platzen, die deutsche Bonität verfällt und die Kredite erhalten wir nie zurück: Hinter dem so positiv klingenden Wort „Rettungsschirm“ scheint sich doch in der Tat eher eine „Zeitbombe“ zu verbergen?

Neumann: Die Gefahr einer anhaltenden Inflation ist gegeben. Aber sie ist nicht unausweichlich. Die EZB, die Europäische Zentralbank in Frankfurt sollte auf ihre Glaubwürdigkeit achten und damit aufhören, Staatsanleihen aufzukaufen.

Sie sagen selbst, „ob die Rettung gelingt, ist offen“. Können wir uns eine solche „Wenn ..., dann“-Politik noch leisten? Hat uns das „Wenn ..., dann“ der Euro-Befürworter nicht erst in diese Lage gebracht, ist es also nicht Zeit, jetzt die Reißleine zu ziehen?

Neumann: Nein, die Reißleine zieht man, wenn man sich im freien Fall befindet. Davon sind wir himmelweit entfernt.

 

Prof. Dr. Manfred J. M. Neumann, der Währungsexperte und „streitbare Euro-Kritiker“ (Der Spiegel), 69, gilt laut Handelsblatt als einer der bedeutendsten Top-Emeriti-Öko­nomen Deutschlands. 1998 war er Mitverfasser der Erklärung, mit der 155 namhafte Professoren vor einer verfrühten Euro-Einführung warnten. Neumann, der auch für FAZ, Zeit und Wirtschaftswoche schreibt, war Vorsitzender des Wissenschaftsbeirats im Bundeswirtschaftsministerium und saß im Forschungsbeirat der Deutschen Bank. 

 

 

Herr Hannich, soll Deutschland jetzt „raus aus dem Euro“?

Hannich: Ja, auf jeden Fall!

Warum?

Hannich: Eigentlich ist die Frage falsch gestellt. Denn früher oder später wird Deutschland den Euro sowieso verlassen müssen: Die Kosten für die Rettungspakete werden solche Dimensionen annehmen, daß sie nicht mehr bezahlbar sind. Besser also ein Ende mit Schrecken und jetzt raus!

Wie können Sie so sicher sein? Vielleicht gelingt es doch, Griechenland zu retten?

Hannich: Das ist sogar durchaus möglich, aber machen wir uns nichts vor, es wird nicht bei Griechenland bleiben, danach werden Portugal, Spanien, Irland und schließlich auch Italien an die Reihe kommen. Das alles wird sehr bald ganz einfach nicht mehr zu finanzieren sein. Ich weiß nicht, woher manche Leute ihren Optimismus nehmen.

Die Bürger fragen sich: „Was wird dann aus meinem Geld?“ – Sie warnen: Genau das Gegenteil von dem, was derzeit alle annehmen.

Hannich: Zur Zeit warnen alle vor der Inflation: Die Leute flüchten deshalb etwa in Immobilien. Ich kann aber nur davor warnen, jetzt in die „Inflations-Falle“ zu gehen, denn was uns bevorsteht, ist zunächst nicht Inflation, sondern Deflation, also der Rückgang des Preisniveaus. In der Deflation sind Immobilien aber schlecht, es kommt zu Zwangsverkäufen und es droht eine drastische Besteuerung durch den bankrotten Staat. Ohnehin kommt nie das, wovor die Massenmedien warnen.

Ist angesichts der Vermögenspreisinflation und des Zwangs zum Abbau der hohen Verschuldung nicht doch Inflation wahrscheinlicher?

Hannich: Auch die Inflation kommt, aber erst in der übernächsten Phase, zunächst wird es wie 1930 Deflation geben. Die kann sogar sehr lange dauern, in den USA waren es damals etwa zehn Jahre. Deflation heißt sinkende Löhne, steigende Steuern, weniger Leistungen vom Staat, also alles das was momentan angekündigt oder zumindest schon diskutiert wird. Dadurch haben die Konsumenten aber weniger Geld in der Tasche, der Absatz schwindet und wir stürzen schließlich in einen neuen Wirtschaftskrach. 

Vor der Deflation warnen Sie in Ihrem Buch „Deflation. Die verheimlichte Gefahr“. In Ihrem Buch „Die kommende Euro-Katastrophe“ sagten Sie – immerhin schon 2009 – voraus, was sich nun tatsächlich anzubahnen scheint. 

Hannich: Durch die Abschaffung der angepaßten nationalen Währungen, wie der D-Mark, haben sich seit Einführung des Euros immer größere Spannungen in der Euro-Zone aufgebaut. Spannungen, die den Euro am Ende zerbrechen lassen und eine Finanzkatastrophe heraufbeschwören werden. Denn es ist unmöglich, so viele unterschiedliche Volkswirtschaften in einen Währungsverbund zu spannen.

Das Standard-Argument der Euro-Kritiker – allerdings gibt es auch renommierte Wirtschaftswissenschaftler, die widersprechen, etwa Manfred J. M. Neumann (siehe Interview oben): „Es geht, wenn man für flexible Strukturen sorgt und jeden verabschiedet, der die Regeln nicht respektiert.“

Hannich: Die Geschichte kennt so viele Beispiele für gescheiterte Währungsunionen. Ich bin mir sicher, daß auch die deutsch-deutsche Währungsunion von 1990 ökonomisch gesehen ein Fehler war, denn sie hat zu einer schlagartigen Deindustrialisierung der neuen Bundesländer geführt, die es so ohne die D-Mark-Einführung nicht gegeben hätte. Sogar der Vorgänger des Euro, der ECU, ist gescheitert: 1992 hat der US-Finanzmagnat George Soros die D-Mark gegen das britische Pfund und die italienische Lira ausgespielt, so daß die festgelegten Wechselkurse schließlich aufgehoben werden mußten – damit war der ECU geplatzt. Doch wie heute hat man das Problem damals einfach durch Aufweichung der Kriterien „gelöst“. Tatsächlich war das eine letzte Warnung, denn wenn nicht einmal festgelegte Wechselkurse klappen, dann klappt eine Währungsunion schon gar nicht. Aber man wollte das Zeichen an der Wand nicht sehen – weil der Euro kein ökonomisches, sondern ein politisches Projekt ist.

Wieviel Zeit geben Sie uns noch, bevor die Euro-Katastrophe durchschlägt?

Hannich: Einige Jahre maximal und das mit ständig zunehmender Verschlimmerung der Zustände. Es hängt davon ab, wie lange man Deutschland noch abschöpfen kann, denn wir werden das alles bezahlen müssen: Doch durch die immer neuen zigmilliarden schweren Rettungspakete wird unserem Wirtschaftskreislauf Kaufkraft entzogen, worunter unsere Wirtschaft leidet, weil schließlich die Binnen-Nachfrage fehlt. Dann geht es auch bei uns bergab. Und die Milliarden für die Rettungspakte gehen ja nicht in den Konsum, sondern in den Schuldendienst – deshalb bekommen wir dadurch auch keine inflationäre Wirkung.

Sie sagen allerdings, im Grunde ist gar nicht der Euro am von Ihnen prophezeiten ganz großen Krach schuld.

Hannich: Wir haben es mit zwei Problemen zu tun: Einmal dem an sich instabilen Schulden-Zins-Finanzsystem und zum anderen mit dem Euro, der Länder zusammenzwingt, die ökonomisch nicht zusammenpassen. Wir werden deshalb nicht nur eine schwere Deflationskrise bekommen, sondern dazu noch dank des Euro eine Währungskrise – eine Kombination, die es so noch nie gegeben hat und die uns in die Armut zu stürzen droht.

 

Günter Hannich, der Publizist ( www.geldcrash.de ), 42, sagte in seinem bereits 2009 erschienenen Buch „Die kommende Euro-Katastrophe“ (Finanzbuch Verlag) die aktuelle Entwicklung voraus.

 

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