© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Machtpoker mit ungewissem Ausgang
Nordrhein-Westfalen: Auch knapp zwei Wochen nach der Landtagswahl ist noch nicht absehbar, welche Koalition künftig an Rhein und Ruhr regieren wird
Ansgar Lange

Wenn alle Parteien ihre Wahlversprechen ernst nehmen würden, müßte in Nordrhein-Westfalen alles auf eine Große Koalition zulaufen. Schließlich hatte SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft vor der Wahl getönt, die Linkspartei an Rhein und Ruhr sei weder koalitions- noch regierungsfähig.

Die FDP hatte sogar per Parteitagsbeschluß klären lassen, daß eine Koalition mit Parteien, die gegebenenfalls mit Extremisten koalieren würden, ausgeschlossen sei. Zumindest die Grünen hatten aber eine Regierungsbildung mit der NRW-Linkspartei zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen.

Mittlerweile haben die Liberalen ihr Ampel-Gehampel offiziell beendet. Es sei richtig, daß seine Partei nicht für „Alibi-Gespräche mit SPD und Grünen zur Verfügung“ stehe, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner dem Hamburger Abendblatt.

Allerdings hatte FDP-Chef Andreas Pinkwart in den Tagen nach der Wahl eine miserable Figur gemacht. Bevor er viel zu spät selbst die Ampel auf Rot stellte für Gespräche mit Rot-Grün, hatte er Gesprächsbereitschaft für den Fall in Aussicht gestellt, daß die beiden rot-grünen Galionsfiguren Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann Sondierungsplaudereien mit der Linkspartei ausschlössen. Nicht wenige haben diese Anbiederei als unwürdig und auch unklug empfunden, schließlich ist das Klima zwischen FDP und Grünen schon lange vergiftet.

Wie in einem solchen Bündnis überdies die Pinkwartschen Studiengebühren zu halten sein würden, bleibt das Geheimnis des Bildungsministers. Im internen liberalen Machtpoker hat sich der Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke durchgesetzt, der den Grünen nicht unbedingt in tiefer Zuneigung verbunden ist. Unterstützung erhielt er von Lindner, der sagte: „Ich sehe in NRW kaum zu überwindende Hürden zwischen Grünen und der FDP.“ Für die Zukunft will man sich aber nicht ausschließlich an die CDU fesseln, denn die „geistig-politische Wende“ durch ein christlich-liberales Bündnis hat sich bisher als eine einzige Enttäuschung erwiesen.

Während also die Liberalen ein uneinheitliches Bild bieten und SPD-Landeschefin Kraft sowie die grüne Fraktionschefin Löhrmann weiterhin auf Schmusekurs sind, kassiert der neue Bundesvorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, schon mal vorsorglich ein paar der zentralen radikalen Wahlversprechungen ein, mit denen seine Partei auf Stimmenfang gegangen war. Sowohl die Verstaatlichung der Energiekonzerne RWE und Eon als auch der Übergang zu einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich seien von einer Landesregierung allein nicht zu lösen.

All das, was die Linkspartei mit Verve bekämpft – also Abbau sozialer Leistungen, Stellenstreichungen und weitere Privatisierungen –, ist nicht nur angesichts der katastrophalen Kassenlage vieler NRW-Kommunen unabdingbar. Mit der Linkspartei kann Rot-Grün das Land nicht wieder auf Vordermann bringen. Daher schrieb Wolfgang Clement der Frau, die am 9. Mai als zweite Siegerin durchs Ziel lief, ins Stammbuch: „Die SPD-Vorsitzende sollte die Spielchen mit Oskars Schmuddelkindern alsbald beenden.“

Krautscheid und Laschet stehen bereit 

Die Lage ist also verfahren. SPD-Chef Sigmar Gabriel schließt die Bildung einer Großen Koalition mittlerweile nicht mehr aus. Bedingung sei aber, daß die SPD den Regierungschef stelle. Auf dieses Spiel dürften sich die Christdemokraten nicht einlassen. Ihnen wird langsam klar, daß Rüttgers in der Versenkung verschwinden muß. Aber zumindest Generalsekretär Andreas Krautscheid und Integrationsminister Armin Laschet dürften Machtansprüche stellen, wobei die Chancen des Wüst-Nachfolgers Krautscheid, unter Rüttgers eine Art Allzweckwaffe, größer sein dürften.

Falls es zu einer Koalition von CDU und SPD kommen sollte, müßten sich die Grünen fragen lassen, ob sie klug beraten waren, die FDP im Wahlkampf als marktradikale Extremisten darzustellen. Hätten sie diese Dummheiten nicht wider besseres Wissen in die Welt posaunt, wären eine Jamaika-Koalition oder auch eine rot-grün-gelbe Ampel durchaus realistische Optionen. Es wäre ein Armutszeugnis für die Politik, wenn erst Neuwahlen das seltsame Treiben der Rhein- und Ruhrfestspiele vom Mai 2010 beenden müßten.

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