© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

„Wir schützen damit auch unser Geld!“
Frankreich: Wie in Deutschland stimmen die Volksvertreter mit überwältigender Mehrheit für die Milliarden-Hilfen in der Euro-Krise
Alain de Benoist

Nur eine Viertelstunde brauchte die französische Nationalversammlung, um sich auf den von Ministerpräsident Nicolas Sarkozy und seiner Finanzministerin Christine Lagarde eingebrachten Plan zur „Rettung Griechenlands“ zu einigen: Nur etwa fünfzig der 577 Abgeordneten – von dem gaullistischen „Souveränisten“ Nicolas Dupont-Aignan bis hin zu dem Kommunisten Jean-Pierre Brard – mochten sich nicht dazu durchringen, der milliardenschweren Kredithilfe zuzustimmen.

Der einstimmigen Unterstützung der Sozialisten (PS) hatte sich die UMP-Regierung schon im voraus versichert, wobei der Vorsitzende des Finanzausschusses, Jérôme Cahuzac (PS), sich zu der Aussage verstieg: „Griechenland zu schützen, heißt den Euro zu schützen und damit auch unser Geld!“ Offensichtlich stellt sich kein einziger Parlamentarier die Frage, wem hier eigentlich geholfen wird.

Protest ist immerhin von seiten einiger Wirtschaftsexperten zu hören. Wenngleich in der Minderheit, sind sich diese Stimmen einig: Solange es keine ernsthaften Bemühungen gibt, das gesamte Wirtschafts- und Finanzsystem zu reformieren, läuft die Griechenland-Hilfe auf den Versuch hinauf, ein Faß ohne Boden zu füllen.

Das am vorvergangenen Wochenende beschlossene 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket zur „Beruhigung der Märkte“, wovon der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Drittel bereitstellt, ist der höchste Betrag, der jemals in der Geschichte mobilisiert wurde. US-Präsident Roosevelts New Deal kostete auf heutige Verhältnisse umgerechnet 50 Milliarden Dollar, der Marshall-Plan 100 Milliarden Dollar. Dennoch macht es weniger als zehn Prozent der Gesamtschulden der Euro-Zone (7.000 Milliarden Euro) aus!

Vergessen wird dabei, wie eine Mehrheit der Wirtschaftsexperten moniert, daß die derzeitige Krise nicht so sehr eine griechische Haushaltskrise, sondern vielmehr eine Bankenkrise ist: Im Zeitraum von 2005 bis 2010 wurden die griechischen Staatsschulden zu 43 Prozent von den Banken, zu 22 Prozent von Versicherungs- und zu 15 Prozent von Rentenfonds gezeichnet. Die Rettungsaktion gilt also nicht Griechenland, sondern genauso wie nach der Krise von 2008 den Banken, die sonst womöglich die Kreditbremse anziehen könnten – nicht die Pleitestaaten der Euro-Zone will man vor dem Bankrott bewahren, sondern vielmehr deren Gläubiger. Da gleichzeitig nichts unternommen wird, um Spekulationen zu unterbinden, können die Banken munter weiterhin die Kurse manipulieren, in dem sicheren Wissen, daß ihnen im Notfall aus der Patsche geholfen wird.

Der 9. Mai 2010 war auch insofern ein historisches Datum, als einer überstaatlichen, nicht-europäischen Organisation, nämlich dem IWF, das Recht zuerkannt wurde, sich in die Affären eines überschuldeten europäischen Staates einzumischen.

Für die Franzosen ist Griechenland weit weg

Yves-Marie Laulan warnt vor zunehmendem anti-europäischem Ressentiment. „Dieser Plan hat im Grunde kein Problem gelöst. Es ist noch niemals gelungen, eine Überschuldung durch ein Mehr an Schulden zu kurieren“, so der Ökonom und Geostratege. „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera, dem finanziellen Bankrott oder dem wirtschaftlichen Untergang.“

Jean-Pierre Chevènement sieht drastische Sparmaßnahmen auf die Euro-Staaten zukommen, unter denen zuvorderst Deutschland leiden werde, exportiert es doch 60 Prozent seiner Produktion in andere EU-Länder: „Das wird zu einer allgemeinen Rezession führen, einhergehend mit einer sozialen und politischen Krise, deren Ende nicht in Sicht ist.“ Angesichts dessen spricht sich Emmanuel Todd für einen „vernünftigen europäischen Protektionismus“ aus. Philippe Dessertine von der Universität Nanterre vergleicht die gegenwärtige Lage mit der von 1929 und kommt zu dem Schluß: „Die Zeit drängt, wenn wir einen Krieg vermeiden wollen.“

Allgemein hat sich die Einschätzung durchgesetzt, man habe Zeit gewinnen wollen, dem Abstieg in die Hölle jedoch nicht entgehen können. Der Rettungsplan für Griechenland läuft darauf hinaus, windige Schulden durch wacklige Staatshaushalte zu garantieren. Im Angedenken an den Lügenbaron Münchhausen, der sich angeblich an seinen eigenen Schnürsenkeln aus einem Sumpf zog, bezeichnet der „heterodoxe“ Ökonom Frédéric Lordon diese Methode als „bootstrapping“. Die europäischen Staaten wollen weitermachen wie bisher und Geld ausgeben, das sie nicht haben. Und am Horizont taucht bereits das Gespenst einer „Weltregierung“ auf, die sich in die Haushaltsbelange der einzelnen EU-Staaten einmischt und somit ihre Souveränität in Frage stellt.

Indem er sich an die Spitze der „Retter Griechenlands“ stellte, wollte Nicolas Sarkozy  offensichtlich noch einmal das leader-Kostüm anlegen, das er sich für die französische EU-Präsidentschaft schneidern ließ, und sein von der Regionalwahlschlappe im März beschädigtes Ansehen reparieren.

Die Franzosen, für die Griechenland ziemlich weit weg ist, tun sich schwer damit, Verständnis für die Entscheidung ihrer Volksvertreter aufzubringen. Sie wissen, daß Frankreichs Haushaltsdefizit seit Sarkozys Machtantritt vor drei Jahren von 2,7 auf 8,2 Prozent angewachsen ist und die Staatsverschuldung, die in den 1960er Jahren 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachte, inzwischen 81 Prozent beträgt.

Vor einigen Monaten wurde ihnen gesagt, daß kein Geld in der Kasse sei, um ihre Renten zu zahlen oder ihre Kaufkraft zu garantieren. Nun müssen sie mitansehen, wie Abermilliarden von „virtuellen“ Euro aus der Luft gezaubert werden, um gleich wieder ins Nichts zu entschwinden. Frankreich, so heißt es zur Erklärung, werde sich von Banken Geld borgen, um es an Griechenland weiterzuverleihen, damit Griechenland es den Banken zurückzahlen kann.

 

Alain de Benoist französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.

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