© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Gefährlicher Zins-Hochdruck
Euro-Krise: Der aussichtslose Kampf der politischen Notärzte gegen die faktischen Kräfte des Finanzmarkts
Bernd-Thomas Ramb

Der Euro liegt im Koma, und die betroffenen Regierungen kämpfen verzweifelt und mit allen Mitteln um sein Überleben. Die Dosis der ersten Griechenland-Spritze hat sich schnell als wirkungslos erwiesen. Statt acht Milliarden Euro Kredithilfe waren schnell 30 Milliarden errechnet. Hinzu kamen 15 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (JF 20/10). Die Krankheit ist aber langwierig (die Kredite für Griechenland sind für zunächst drei Jahre bereitgestellt) und hochansteckend – mit Portugal, Spanien, Irland und Italien saßen kurz darauf die nächsten kreditanfälligen Länder im Wartezimmer. Als Zwischengröße stand dann am 9. Mai schon der Betrag von 750 Milliarden Euro im Raum – das ist mehr als doppelt soviel wie der Bundeshaushalt 2010 (320 Milliarden Euro).

Die Maßnahmen seien ohne Alternative – sagt die Politik

Deutschland soll mit mindestens 123 Milliarden Euro an dieser in Brüssel durchgepeitschten Rettungsspritze beteiligt sein. Genaue Zahlen sind ebenso wenig vorhersehbar wie die künftigen Haushaltslücken der Pleitekandidaten. Ob die Gesamtdosis überhaupt eine obere Grenze besitzt, wird genausowenig thematisiert wie die Frage, ob die Rettungsaktion gesetzlich erlaubt ist. Beide Aspekte werden mit der 2008 eingeführten argumentativen Universalkeule erschlagen: „Die Maßnahmen sind alternativlos“, weil sonst – so die Regierungen und ihre publizistischen Helfer unisono – die „Spekulanten“ (konkrete Namen werden aus gutem Grunde nicht genannt) sich den Euro zur Beute machen würden.

Als wirklicher Feind ist eigentlich der starke Anstieg der Zinsen anzusehen, die für Staatskredite an hochverschuldete Euro-Länder zu zahlen sind. Hinter den unfaßbaren Kreditzusagen steckt in Wirklichkeit ein verzweifelter Kampf gegen den zunehmenden Euro-Zins-Hochdruck. Dahinter eine „Verschwörung gegen den Euro“ zu vermuten, zeugt von der Unkenntnis, wie Finanzmärkte weltweit funktionieren.

Eine Ahnung haben die Euro-Notärzte allerdings schon offenbart. Bei dem Beschluß des EU-Kredits an Griechenland sorgte die Festlegung des Zinses, den die Griechen für die EU-staatlichen Notkredite zu zahlen haben, für erste Einwände der ebenfalls in die Staatspleite abgleitenden Euro-Länder. Sie befürchten, daß sie ihren Anteil an der Griechenland-Hilfe zu einem höheren Zinssatz refinanzieren müssen, als sie von den Griechen verlangen dürfen. Das Grundproblem jeder marktfernen willkürlichen Festlegung des Zinses (das nebenbei genauso auf die staatliche Festsetzung von Güterpreisen und Lohnsätzen – Stichwort Mindestlohn – zutrifft) ist die Abweichung vom Marktzins. Läge der Zinssatz für die staatlichen Hilfskredite darüber, würden sie nicht in Anspruch genommen – die Griechen würden sich auf dem freien Kreditmarkt bedienen.

Der jetzt vereinbarte Zinssatz für die Griechenland-Kredite ist mit fünf Prozent aber deutlich niedriger als die acht bis zehn Prozent, die Griechenland am Kreditmarkt zu zahlen hätte. Vorige Woche hat Athen daher die ersten 20 Milliarden aus dem EU- und IWF-Paket beantragt. Auch die deutsche Staatsbank KfW muß nun etwa vier Milliarden Euro überweisen.

Alle Euro-Kreditgeberländer sind jedoch ihrerseits verschuldet und können ihre Anteile am Griechenland-Kredit nur durch eigene Kreditaufnahme finanzieren. Müssen sie dafür demnächst höhere Zinsen bezahlen als fünf Prozent, dann entstehen ihnen echte Kosten. Geber-Länder wie Deutschland oder Finnland können sich – noch – bei geringeren Zinssätzen refinanzieren, sie machen also anfangs einen Zinsgewinn. Doch es besteht für alle das Risiko, daß Athen die Kredite nur teilweise zurückzahlt.

Ursprünglich war von Brüssel vorgesehen, daß aus den deutschen Zinsgewinnen die Verluste der Problemländer ausgeglichen werden. Muß beispielsweise Spanien, das Griechenland einen Kredit von 9,3 Milliarden Euro zu fünf Prozent gewähren muß, diesen Betrag zu einem Zinssatz von sieben Prozent auf dem Finanzmarkt refinanzieren, könnte es sich den Verlust von 18,6 Millionen von Deutschland erstatten lassen. Eine direkte Hilfe aber lassen die Statuten des Euro eigentlich nicht zu. Eine zweite Variante ist die Anrechnung der Zinsverluste auf die zu gewährende Kreditsumme. Damit würde jedoch der Kredit an Griechenland verringert, oder die Gesamtsumme müßte entsprechend aufgestockt werden.

Das EU-staatlich organisierte Kreditvolumen für Athen reicht bei weitem nicht aus. Zusätzliches Geld muß auf dem privaten Kreditmarkt aufgenommen werden. Dessen Zinssätze sind aber wesentlich von der Risikoprämie bestimmt – der Angst der Gläubiger, ihre Einlagen zu verlieren. Die nun auch von regierungsamtlichen Stellen zu vernehmende Hetze gegen Banken und „Spekulanten“ hat nicht dazu beigetragen, diese Angst zu verringern. Im Gegenteil, der angekündigte „Krieg gegen die Spekulanten“ treibt den Zinssatz für Staatspapier generell in die Höhe. Von den verunsicherten Privaten ist immer weniger an Kreditangeboten zu erwarten. Das betrifft demnächst selbst die jetzt noch als zuverlässig erachteten Länder.

Die Risikoprämien werden künftig für alle weiter steigen

Da hilft schließlich nur noch eine faktische Übernahme des gesamten Kreditbedarfs durch staatliche Institutionen. Die Europäische Zentralbank (EZB) leistet durch ihre neue Politik des Aufkaufs von Euro-Anleihen bereits jetzt tatkräftige Hilfe – mit fatalen Auswirkungen auf die Inflationsgefahren. Mittelfristig entsteht jedoch ein Mengenproblem. Die horrend erscheinende Aufstockung der Hilfszusagen auf 750 Milliarden Euro hat die Märkte vorige Woche zwar beruhigt, sie reicht aber bei weitem nicht aus. Allein die Schuldensumme der vier größten Pleitekandidaten Griechenland, Portugal, Spanien und Irland beträgt mehr als eine Billion Euro. Diese sind in den nächsten Jahren zu refinanzieren, von der zusätzlichen Neuverschuldung ganz zu schweigen. Allein Italien hat 1,7 Billionen Euro Staatsschulden angehäuft. Noch vertrauen die italienische Wirtschaft und die Bürger ihrem Staat – aber wie lange noch?

Nebenbei sind auch die alten Staatsschulden von Frankreich und den EU-Nettozahlern wie Deutschland oder den Niederlanden zu erneuern. Das schafft kein rein staatliches Schuldenmanagement. Die EZB kann nicht unbegrenzt wacklige Staatsanleihen ankaufen, ihre Reputation ist schon jetzt ernsthaft angekratzt. All das wissen auch die Akteure auf dem Finanzmarkt – vom Kleinanleger bis zum Hedgefonds. Die Regierungen versuchen gegen die Kräfte des Finanzmarktes anzukämpfen und müßten sich eigentlich eingestehen, daß sie gegen einen so mächtigen Gegner keine Chancen haben. Die Zinsen werden weiter steigen – bis die Euro-Rettungsversuche eingestellt werden müssen, weil der 1999 geborene Patient im Kindesalter verstorben ist. Und dann kommen doch die unausweichlichen Staatspleiten, die eigentlich verhindert werden sollten.

Foto: Kranker Euro: Die Gemeinschaftswährung ist mit hohem Einsatz vorerst „gerettet“ worden – doch in absehbarer Zeit kommen dann die unausweichlichen Staatspleiten

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