© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Pankraz,
Heidi Kabel und die normalen Politbürger

Goldoni statt Goethe – auf diese griffige (wenn auch daneben greifende) Formel bringt Frank A. Meyer in einem Aufsatz für das Magazin Cicero das Dilemma der gegenwärtigen Berliner Politik. Er will erklären, warum das Personal dieser Politik, im Vergleich zu früheren Großakteuren, so mickrig geworden ist, so tatenarm, so unattraktiv für potentielle Wähler. „Wir leben in einer Zeit der selbstverständlich funktionierenden Demokratie“, schreibt er, „und die ist – man mag es bedauern – keine Bühne für das große Drama, für große Darsteller. Allenfalls die grotesken Auf- und Abtritte der Komödie lassen sich dem demokratischen Alltag abgewinnen.“

Der moderne, „demokratische“ Politiker also als Pausenclown, Harlekin statt Faust, Heidi Kabel statt Maria Stuart. Ist das wirklich die richtige Perspektive? Erleben wir nicht gerade in diesen dramatischen Tagen der Euro-Krise und der gigantischen Staatsverschuldung, wie notwendig große Persönlichkeiten an der Spitze des Gemeinwesens wären, entschlossene Täter und Widersteher, wortmächtige Rhetoriker, die dem  Publikum die Wahrheit zu sagen verstehen und es gleichzeitig mitreißen und zu guten Einzeltaten anstiften?

Wie sieht dagegen die reale Berliner Politszene aus? Frank A. Meyer sagt es ja selbst: Die dort zur Zeit versammelten „Akteure“ sind nicht einmal mehr in der Lage, einen richtigen deftigen Skandal anzurichten. Wie kommt er denn da auf Carlo Goldoni, den Komödienschreiber? Was in Berlin abläuft, ist doch keine Komödie. Statt einer Heidi Kabel nehmen wir eine strohtrockene Bauchrednerin wahr, die zur selben Zeit, da Sarkozy in Brüssel die Europäische Zentralbank (EZB) beerdigt, in Moskau neben Putin sitzt und an dem unsäglichen Sandkastenspiel „Stalin siegt über Hitler“ teilnimmt. Das ist nicht einmal mehr Schmierenkomödie, das ist nur noch „Im Dunkeln ist gut munkeln“.

Politik in der Demokratie, sagt Meyer in seinem Aufsatz, sei „Schwarzbrot“, er meint Alltagsroutine, ewiges Kompromisseschließen, gepflegte Langeweile. Da irrt er aber, wie schon in Sachen Goldoni. Auch in der Demokratie gibt es ein Auf und Ab von „Normalität“ und Ausnahmezustand wie in jeder anderen Herrschaftsform; so ist das Leben nun mal. Relativ harmlose Zustände werden abgelöst von dramatischen Krisenlagen, Krankheiten oder völlig neuartigen Herausforderungen, die entschlossenes Eingreifen jenseits jeglicher Routine erfordern.

Auch in der Demokratie bemißt sich die Qualität des herrschenden politischen Personals einzig danach, inwieweit es in der Lage ist, effektiv auf Krisenlagen zu reagieren. Auch „demokratische“ Politiker müssen, um es modisch zu sagen, in dieses „Exzellenzcluster“ passen.

Doch Frank A. Meyer schreibt voller Biederkeit: „Was sagt uns die Finanzkrise? Bedurfte es zu ihrer Bewältigung großer, gar übergroßer Männer und Frauen? Es bedurfte und bedarf der Politiker wie Angela Merkel, Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier, Wolfgang Schäuble. Normale Bürger.“

Man kann nur mit dem Kopf schütteln. Es mag ja sein, daß die Genannten „normale Bürger“ sind, aber auch normale Bürger müssen sich voneinander unterscheiden dürfen. Es gibt solche und solche, zur Krisenbewältigung begabte und weniger begabte. Zwar dekretierte einst der Urvater der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel, ein Land regieren könne „jede Küchenmagd“, doch das war damals – zur Ehrenrettung Bebels sei es gesagt – scherzhaft bzw. polemisch, jedenfalls nicht ernst gemeint. Niemand sollte sich daran orientieren.

In Wahrheit ist das Regieren in Krisenlagen einer der schwersten Berufe, die es überhaupt gibt. Das Personal, das dafür zur Verfügung steht, sollte der feinsten Elite angehören; die Zugangskriterien zu dieser Elite sollten die alleranspruchsvollsten sein, sowohl in wissenstechnischer wie in moralischer Hinsicht. Jedes Hinwegretouchieren der sich daraus ergebenden sozialen Problematik, wie es Meyer mit seinem Gerede vom „normalen Bürger“ betreibt, ist von Übel.

Schon die alten, vorcäsarischen Römer mit ihrer demokratischen Senatorenrepublik sahen, daß jede Demokratie in sich die schreckliche Gefahr der Vermassung birgt: flächendeckende Senkung der wissenschaftlichen und moralischen Standards, faules Vorsichhinwursteln, welches dann früher oder später jede Qualität des Lebens zerstört, sowohl materiell wie geistig, und notwendig zur „Ochlokratie“, zur Herrschaft des Pöbels und der Gemeinheit führt. Die Römer schufen dagegen bekanntlich das Instrument der „Diktatur“, wie sie in aller historischen Unschuld sagten.

Die auf scharf begrenzte Zeit angelegte Diktatur sollte der Riegel sein gegen jeglichen eventuellen Rückfall in Königtum oder Tyrannei. Lebenserfahrene und lebenssatte, hellwache  Senioren, welche nichts mehr für sich selbst erhofften, sollten die zeitlich limitierte Macht erhalten, um sämtliche Figuren und Instanzen auszuschalten, die lediglich „von“, aber nicht im geringsten „für“ die Republik lebten. Am Ende der Diktatur sollte ein totaler Neuanfang der Demokratie stehen, gleichsam ihre Neugeburt.

Leider hat das nicht funktioniert. Die Republik versank statt dessen in Verteilungskämpfen und Bürgerkriegen, und am Ende stand kein Neuanfang, sondern die unkontrollierte Herrschaft von Soldatenkaisern und Imperatoren.

Einige dieser Imperatoren regierten ja durchaus passabel, mehrten den allgemeinen Wohlstand und ermöglichten kulturelle Blüten, man denke an Augustus oder Hadrianus. Aber der Preis ihrer Herrschaft war zu hoch, der „normale Bürger“ (Meyer) wurde von ihr abgenabelt, und das gereichte dem Ganzen zum Schaden. Nach den inneren kamen die äußeren Barbaren.

Besser wäre auf jeden Fall gewesen, man hätte rechtzeitig erkannt und berücksichtigt, daß auch die Demokratie große Männer und Frauen an den Schalthebeln braucht statt einiger Pausenclowns, die als Normalbürger aufgezäumt sind.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen