© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Unterm Pflaster liegt der Strand
Kein Sport für Kurzatmige: „Keep Surfing“ dokumentiert einen ozeanischen Kult mitten in München
Silke Lührmann

Daß das Wellenreiten nicht so sehr eine Sportart, sondern vielmehr eine Weltanschauung ist, hat sich auch dank Hollywood-Produktionen wie „Big Wednesday“ (Tag der Entscheidung, 1978) von John Milius, Kathryn Bigelows „Point Break“ (Gefährliche Brandung, 1991), John Stockwells „Blue Crush“ (2002) oder Tim Wintons preisgekrönten Romans „Breath“ (Atem, 2008) längst bis ins Binnenland herumgesprochen. Marken wie Billabong oder Quiksilver, die in grauer Vorzeit nur die dazugehörige Hardware entwickelten und ihr Sortiment längst um Strand- und Freizeitmode erweitert haben, sind inzwischen selbst in Metropolen, denen man beim besten Willen keine Küstennähe nachsagen kann, mit teuren Boutiquen vertreten.

Eine noch kuriosere Attraktion lockt die Illuminati des bedenklich anschwellenden ozeanischen Kults nach München: eine Welle mitten in der Großstadt, genauer gesagt eine „stehende“, wie sie in manchen Vergnügungsparks künstlich nachgebaut wird.

Ohne sich je zu brechen wie eine Meereswoge, erzeugt sie genügend Reibungskräfte, um auf dem Brett stehen zu können und an ihrer zwar eher bescheidenen Wand allerlei Tricks und Kunststückchen auszuführen. Findige Tüftler haben der Schöpfung auf die Sprünge geholfen und den Flußlauf mit Hilfe zweckentfremdeter Eisenbahnschwellen so verändert, daß die Welle, vormals ein seltenes Naturereignis, nun sieben Tage die Woche rund um die Uhr „abgeht“.

Surfen ist kein Sport für Kurzatmige. Um so bedauerlicher, daß „Keep Surfing“ das Konzentrationsvermögen eines MTV-Videos hat und sich kaum je die Ruhe nimmt, seine Protagonisten mit ihren durchaus erzählenswerten Geschichten zu Wort kommen zu lassen, bevor die Kamera schon wieder ins Zappeln gerät.

Als „Hausmeister der Eisbachbrücke“ verteidigt Walter – eine längst an allzu vielen Meeresstränden übliche Unsitte – den territorialen Anspruch der Einheimischen so eifersüchtig wie rabiat gegen Neugierige und Touristen. Für ihn und seinen eingeschworenen Männerbund ist dies der Ort, an dem sie sich zu Hause fühlen und ihre Fluchtphantasien ausleben.

Quirin, der Begabteste unter ihnen, führt inzwischen im Troß des internationalen Profisports ein Nomadendasein auf den sieben Weltmeeren. Um die richtig spektakulären Bilder einzufangen, ohne die keine Surf-Doku auskommt, muß sich auch Regisseur Björn Richie Lob – selber ein leidenschaftlicher Wellenreiter – in exotischere Gefilde begeben und ihm nach Tahiti folgen. Daß der Ozeanvagabund ausgerechnet vor solch dramatischer Kulisse gesteht, wie sehr er seine alten Jugendfreunde vermißt, verleiht dieser Szene eine Würde, die der Film ansonsten scheut wie die Seejungfrau das Festland.

Sehr schön ist auch der Austausch mit einem Gesinnungsgenossen, der die Münchner Matadore nach Kanada einlädt. Während der für die Untertitel zuständige Übersetzer ein wenig ins Schwimmen gerät, schlagen sich die Eisbachler wacker in einem tückischen Gewässer, das ihren Gastgeber dereinst fast das Leben gekostet hätte.

Surfen sei ihr immer noch lieber als manch anderes Hobby – wenn ihr Mann etwa Briefmarken sammelte –, bekennt die Ehefrau des Eisbach-Pioniers Dieter. Sie wird wissen, wovon sie redet, mußte sie doch miterleben, wie er die Tochter vor dem Ertrinken rettete.

Zu hoffen wäre, wenn auch kaum wahrscheinlich, daß Lobs Film das Fluß-Surfen als neueste Trendsportart popularisiert, alle Sonntags- und Schönwetter-Wellenhelden ins Landesinnere lockt – und die Küsten denjenigen überläßt, für die das ständige Erlebnis des Elementaren tatsächlich eine Weltanschauung und innere Notwendigkeit ist.

Fotos: Surfer und Arzt Florian Kummer: Findige Tüftler haben der Schöpfung auf die Sprünge geholfen, Gewagte Stunts am Münchner Eisbach; Surfer-Legende Quirin Rohleder: Tausendmal besser als Briefmarkensammeln 

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