© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Abschied vom Ego-Trip
Die Krise als Chance: Die Zukunft liegt in den Händen der Familien – nicht der Familienpolitik
Michael Paulwitz

Die demographische Katastrophe ist die Mutter aller Krisen. Die kumulierten Folgen des jahrzehntelangen Tiefstands der Geburtenraten werden Deutschland und Europa tiefgreifender verändern als der vorerst nur aufgeschobene griechische Staatsbankrott und der Niedergang des Euro. Noch weniger als alle Wirtschafts- und Finanzkrisen läßt sich dieser Umbruch mit geliehenen Milliarden abwenden oder auch nur verlangsamen. Im Zusammentreffen dieser Krisen liegt die Chance zum grundsätzlichen Umdenken.

Deutschland 2050: eine Greisenrepublik, in der trotz jährlicher Zuwanderung Hunderttausender die Einwohnerzahl um zehn Prozent auf 74 Millionen gesunken sein wird; in der sich der Anteil der über 65jährigen auf ein Drittel verdoppelt und die Zahl der über 80jährigen von vier auf zehn Millionen gestiegen sein wird. Ein Land, in dem Kinder Exoten sein und nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stehen werden.

Wie sollen diese wenigen Aktiven für all die Alten sorgen? Wie viele von ihnen werden überhaupt dazu in der Lage sein? Wie wird es um die Arbeitswelt, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes stehen, in dem Altersarmut, Rentenfinanzierung und Pflegenotstand die alles bestimmenden Themen sein werden? Werden Sozial- und Gesundheitssysteme, wird der innere Frieden der massiven Lastenverschiebung und den erwartbaren Verteilungskämpfen standhalten?

Diese Zukunft beginnt schon morgen, wenn in zehn bis zwanzig Jahren die letzten Babyboomer, die heute noch den Karren ziehen, das Rentenalter erreichen und die nur noch halb so starken, schlecht ausgebildeten Kohorten der heute Neugeborenen und Eingeschulten ihre Stellen einnehmen sollen.

Der Umgang mit dieser Krise übersteigt den Horizont der politisch Verantwortlichen. Wo ihre Symptome überhaupt wahrgenommen werden, dienen sie als Auslöser für den Generalreflex einer politischen Klasse, die in ihrem mechanistischen Denken und Handeln auf das Hier und Jetzt fixiert ist wie das Kaninchen auf die Schlange: noch mehr Milliarden verpulvern, die man gar nicht hat.

Deshalb stellt die Kanzlerin vor jeder Einspardebatte den Ausbau der Kindertagesbetreuung, die Krippenplatzgarantie und ihr Ziel, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015 von sechs auf zehn Prozent der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung hochzufahren, unter Totalschutz; und deshalb wird jeder, der wie der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch Zweifel an diesen Dogmen äußert, mit Verachtung gestraft, weil er sich angeblich „an der Zukunft versündigt“.

Dem liegt ein doppeltes Mißverständnis zugrunde. Zum einen kann man auch mit viel mehr Geld nicht automatisch mehr Bildung oder mehr Kinder kaufen, wenn alle anderen gesellschaftlichen Parameter – vom Steuer- und Sozialsystem bis zum Werte- und Menschenbild – gleichzeitig den individuellen, augenblicksbezogenen Egoismus abbilden und ermuntern. Und zum anderen ist viel zu vieles, was derzeit unter „Familien-“ oder „Bildungspolitik“ läuft, in Wahrheit nichts anderes als kostspielige Klientel- und Umverteilungspolitik zur Befriedigung kurzfristiger Vorteilssuche von Wirtschaftslobby und Sozialindustrie.

Kein Krippenausbau und auch nicht das kostspielige Elterngeld hat den Rekord-Tiefstand der deutschen Geburtenrate im vergangenen Jahr verhindern können. Es geht bei diesen Programmen ja auch nicht um Bevölkerungspolitik, sondern lediglich um die möglichst vollständige Mobilisierung von Frauen für den Arbeitsmarkt, um wenigstens für eine Weile die Ausfälle durch die demographische Krise zu kompensieren, statt die Krise selber zu bekämpfen.

Und die Bildungspolitik? Die soll „moderne Sozialpolitik“ sein, entlarvt Ministerin Schavan den Etikettenschwindel selbst: Mit ungeheurem Aufwand sollen die Folgen einer gescheiterten Einwanderungs-, Integrations- und Wohlfahrtsstaatspolitik kuriert werden, statt diese falsche Politik zu ändern.

Die Spielräume dafür schwinden rapide. In der Republik der Alten, konstatierte kürzlich eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bevölkerungsforschung, sei den tonangebenden älteren Jahrgängen die eigene Absicherung näher als Ausgaben für Schulen und Familien. Mag sein, daß Roland Koch mit seinem Vorstoß nicht zuletzt auf diese Entwicklung spekulierte. In der Konsequenz hatte er dennoch recht: Wir können uns diesen ausufernden Wohlfahrts-Umverteilungsstaat samt seinen sozialpädagogischen Apparaten nicht mehr leisten.

Das zur vermeintlichen Rettung von Banken und Euro abgebrannte Milliardenfeuerwerk war das vielleicht letzte Aufbäumen eines wahnwitzigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells, das nicht nur das aktuell Erwirtschaftete, sondern auch das von vorherigen Generationen Erarbeitete zusammen mit dem von künftigen Generationen Geliehenen zur eigenen Genußmaximierung sofort und radikal verkonsumiert.

Die Zeit der narzißtischen Selbstverwirklichung, die alles für sich will und den Staat für jedes Bedürfnis in die Pflicht nimmt, geht ihrem Ende zu. Der Abschied vom bevormundenden Wohlfahrtsstaat wird den Gouvernanten noch schwerer fallen als den Bürgern. Doch spätestens wenn der Staatsbankrott auch an unsere Tür klopft, schlägt die Stunde der Wahrheit.

Wenn es nichts mehr zu verteilen gibt, wächst der Druck, Verantwortung für das eigene Schicksal und für das der kommenden Generationen wahrzunehmen. Persönlicher Erfolg bemißt sich dann weniger an der Zahl exotischer Urlaubsreisen oder dem Statuswert der erworbenen Unterhaltungselektronik, sondern an den zeitlosen Indikatoren nachhaltigen Lebens: ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen. Die Zukunft liegt in den Händen der Familien, nicht der Familien-, Sozial- und sonstigen Politiker.

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