© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

„Orientalische Phantasie“
Finanzhilfen: Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin hat wenig Vertrauen in die Griechen und die deutschen Politiker
Christian Dorn

Deutschlands politische Klasse hat „Angst“ vor der Wirklichkeit. So sieht es der Schweizer Finanzwissenschaftler Charles B. Blankart. Während einer Diskussionsveranstaltung  in Berlin unter dem Titel „Das Ende des Euro – Löst Griechenland einen Dominoeffekt aus?“ äußerte er deutliche Kritik an der in Deutschland beschlossenen Griechenland-Hilfe, zu der es angeblich „keine Alternative“ gebe.

Blankarts lakonischer Kommentar: „Wenn es die nicht gäbe, würde die Menschheit heute gar nicht mehr existieren.“ Den Staatsbankrott Griechenlands hält er nur für aufgeschoben. Dem Land werde mit seiner Schattenwirtschaft und einer Korruption, die „unermeßlich“ sei, die Insolvenz jetzt nur unnötig teuer gemacht. Durch die ungedeckte Finanzhilfe würden unhaltbare Versprechen gegeben. „Die Politik heizt die Spekulation an, nicht umgekehrt“, sagte Blankart. Denn das Vertrauen in den Markt wachse nur, „wenn man dessen Regeln folgt“, die Regierung Merkel aber tue genau das Gegenteil. Da voraussichtlich die gesamte Schuldenlast von mehreren hundert Milliarden Euro am Gläubiger Deutschland hängenbleiben werde, könne sich dieses nur vor dem finanziellen Ruin retten, wenn es aus der Euro-Zone austritt. Des Ratschlag des Finanzwissenschaftlers: „Wir müssen einfach sagen, wir bezahlen nicht, und dann mal gucken, was passiert.“

Ähnlich sieht es Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin. Mit Blick auf Griechenlands künstlich verzögerten Staatsbankrott und die Stimmen jener Kritiker, denen die rechtliche Grundlage hierfür fehlt, äußerte er: „Wenn einer aufhört zu zahlen, dann hört er halt auf zu zahlen – dafür braucht es keinen Rechtsrahmen.“

Für Sarrazin sind Griechenlands Zahlen seit jeher von „orientalischer Phantasie“ geprägt. Die Hälfte der Zeit seit der Gründung des neugriechischen Staates seien die Hellenen international nicht kreditwürdig gewesen. Bereits bei der ersten Finanzhilfe, so Sarrazin, sei er dafür gewesen, den Griechen „nicht zu helfen“. Der damit verbundene Verlust deutscher Kreditinstitute in Höhe von 40 Milliarden Euro wäre zu verkraften gewesen. Griechenland dagegen sei „ohne Umschuldung nicht sanierungsfähig“. Deshalb werde auch die neue Kredithilfe nicht helfen: „Das kann man alles in der Excel-Tabelle ausrechnen.“ Wollte Griechenland den Sparauflagen nachkommen, müßte es die Sozialleistungen um 30 Prozent senken. Statt dessen habe sich die Staatengemeinschaft auf eine Umschuldung verständigen müssen, die im Fall von Griechenland einen Abschlag von etwa 50 Prozent bedeuten würde. Aber leider, so Sarrazins Fazit, sei von der Politik kaum etwas zu erwarten, nur die Juristen zeigten noch ein „offenbar gesundes Volksempfinden“.

Hier durfte sich der Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber angesprochen fühlen, der im Auftrag seines Mandanten Franz Ludwig Graf Stauffenberg vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Lissabon-Vertrag geklagt hatte und eine Klage gegen den Finanzrettungsschirm einreichen will. Hierbei sei er zuversichtlich, zu gewinnen. Denn wenn das Verfassungsgericht die Finanzhilfe billigen würde, so Kerber, „müßte es sein eigenes Recht brechen“.

Beklemmend war Kerbers Bericht aus der Praxis des Berliner Politikbetriebs: So seien zahlreiche Bundestagsabgeornete bei ihm gewesen, die zwar ebenfalls gegen die Finanzhilfen seien, aber dennoch dafür stimmten, da sie Angst hätten, abgestraft zu werden, wenn sie sich gegen die politische Meinungsführerschaft stellen. Darauf entfuhr einer Frau im Publikum: „Das ist Diktatur, das ist keine Demokratie mehr.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen