© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Finanznöte im Land der aufgehenden Sonne
Japan: Trotz steigenden Defizits ist die Problemlage anders als in den Schuldenstaaten USA, Großbritannien oder Griechenland
Albrecht Rothacher

Japan ist nach zwei Jahrzehnten von Konjunkturpaketen mit Abstand Weltmeister der Staatsschulden. Um mehr als zwei volle Jahresleistungen seiner Volkswirtschaft hat sich der japanische Staat verschuldet. Der Schuldendienst macht bei den meisten öffentlichen Haushalten, auch den Präfekturen und Gemeinden, mit etwa 30 Prozent bereits den größten Posten aus. Die bis zum Herbst amtierende konservative LDP-Regierung hatte hauptsächlich die Bauindustrie als den wichtigsten Wirtschaftsfaktor in Japans Regionen durch immer neue und zunehmend sinnlose Infrastrukturprojekte alimentiert. Die neue Mitte-Links-Regierung will mit mehr Kindergeld und höheren Renten die Binnennachfrage aufstocken.

Da die Annullierung der LDP-Bauprojekte trotz öffentlich tagender Prüfungskommissionen nicht recht vorankam, finanziert die Regierung von Yukio Hatoyama jetzt beides: den Straßen- und Hafenbau in der Provinz und die teuren Sozialprogramme, die zudem keine Einmalausgaben wie ein Brückenbau, sondern Dauerposten sind. Da gleichzeitig wegen der Krise die Steuereinnahmen einbrachen, schossen die Staatsschulden in die Höhe. Im Etat 2010/11 von umgerechnet 750 Milliarden Euro übertreffen die Neuschulden erstmals die Steuereinnahmen. Das Defizit stieg so auf 9,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist eigentlich genausowenig durchzuhalten wie in den USA, Großbritannien oder Griechenland.

Bislang hatten ihre Staatsschulden die Japaner aber relativ kalt gelassen, sitzen sie doch gleichzeitig auf dem zweitgrößten Devisenschatz der Welt. Allein 770 Milliarden Dollar davon sind in US-Schatzanweisungen angelegt. Die Staatsquote ist mit 36 Prozent ähnlich niedrig wie in der Schweiz. Die Verkaufsteuern betragen lediglich fünf Prozent. Da sind aus Sicht des Tokioter Finanzministeriums Steuererhöhungen durchaus machbar. 95 Prozent der japanischen Schuldverschreibungen werden von einheimischen Sparern und Institutionen gekauft, vor allem der Bank of Japan als Nationalbank, der staatlichen Postsparkasse (deren geplante Privatisierung die Hatoyama-Regierung als erstes kassiert hat) und den Rentenversicherern. Noch verfügen die Japaner über ein privates Volksvermögen von etwa 1,5 Billionen Dollar, pro Einwohner sind dies 67.000 Euro.

Während der Staat praktisch pleite ist und sich nur noch mit Neuschulden über Wasser hält, ist das Volk noch relativ wohlhabend. Doch in dem unübersehbar alternden Land ist die Sparquote stark rückläufig: Von 16 Prozent (1991) fiel sie mit den sinkenden Haushaltseinkommen in der Stagnationskrise auf jetzt nur noch drei Prozent.

Gleichzeitig müssen die Rentenversicherungen ihre angesparten Rücklagen zunehmend auflösen, da die kinderreichen Nachkriegsjahrgänge nunmehr in Rente gehen. Damit fallen auch die Rentenkassen in absehbarer Zeit als Staatsgläubiger aus. So wird Japan mittelfristig gezwungen sein, sich auf internationalen Finanzmärkten nach Geld umzusehen. Statt 1,5 bis 2,0 Prozent Zinsen müßte es dort wie der Euro-Wackelkandidat Spanien wohl sechs bis sieben Prozent Zinsen zahlen und wäre bei Emissionen plötzlich vom wetterwendigen Wohlwollen der Märkte abhängig. Die internationale Spekulation würde das fernöstliche Schuldenproblem auf lukrative Schwachstellen hin abtesten.

Auch die in US-Staatsanleihen gebunkerten japanischen Devisenwerte keinesfalls sicher. Sie hängen von der langfristig mehr als zweifelhaften Fähigkeit und dem Willen der US-Regierung ab, die Schulden inflationsfrei zu bedienen. Sich aus dem Dollar zu verabschieden, ist den Japanern wie den Chinesen oder Koreanern aber kaum möglich, sind doch die hochverschuldeten USA weiter ihr wichtigster Exportmarkt und die Quelle ihrer Konjunkturbelebung. So werden dem amerikanischen Bankrotteur weiter die Kreditlinien verlängert. Dollar-Bestände auf den Markt zu werfen, würde nur den eigenen Währungskurs hochtreiben, die eigenen Exporte verteuern und die bislang hart erarbeiteten Devisenbestände entwerten. Die Pläne, sich mit Euro-Beständen diskret zu diversifizieren, sind seit der Griechenland-Krise ausgeträumt. Die Japaner haben ihre EU-Staatspapiere massiv abgestoßen. Kurzfristig wirkt für sie der Euro noch desolater als der erst mittelfristig wahrscheinliche Niedergang des US-Dollar.

So scheint der Ferne Osten weiter auf Gedeih und Verderb als Hoflieferant und Finanzier mit der weiter über ihre Verhältnisse lebenden US-Wirtschaft verwachsen. Sollten die Amerikaner zum „Haircut“ schreiten und einen einseitigen Schuldenschnitt als Alternative zur Inflationspolitik verordnen, dann müßten die fleißigen Asiaten (nebst einigen Kontinentaleuropäern wie den Deutschen) draufzahlen. Der Teilverlust ihrer Währungsreserven könnte zudem den Außenwert ihrer Währungen ins Trudeln bringen. Daher hat die Euro-Krise den japanischen Finanzminister Naoto Kan zum Umdenken gebracht. Von den Währungskonferenzen kam er schreckensbleich nach Tokio zurück: Die Neuverschuldung müsse dringend zurückgefahren werden, und sei es um den Preis neuer Steuererhöhungen, um die drohende Auslandsverschuldung Japans zu verhindern, verkündete der einst glühende Keynesianer. Das war das letzte, was Premier Hatoyama im Blick auf die Oberhauswahlen im Juli – bei denen er mit schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen werben will – hören wollte. Aber im Gegensatz zu den Euro-Mitgliedern kann Japan mit seinem Yen seine Geschicke immerhin noch selbst bestimmen – im Guten wie im Schlechten.

Foto: Herbststimmung bei Yen, Dollar und Euro: Ein einseitiger US-Schuldenschnitt als Alternative zur Inflationierung würde speziell Japaner und Deutsche als Exporteure besonders hart treffen

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