© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

An den Grenzen der Möglichkeiten
Ölförderung in der Tiefsee: Die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko sollte ein Umdenken in Wirtschaft und Politik befördern
Volker Kempf

Am 22. April versank die Bohrplattform Deepwater Horizon nach einer Explosion in den Golf von Mexiko. Unmengen schwarzen Goldes strömten ins Meer – es ist die größte Ölkatastrophe aller Zeiten. Auf den britischen  Energiekonzern BP kommen mehrere Milliarden Dollar Kosten zu. Die ökologischen Folgen sind aber nicht in Geld zu messen.

Wie konnte es soweit kommen? Die für die Kontrolle der Tiefseebohrungen zuständige US-Behörde für Mineralienförderung (MMS) hat ihre Aufsichtspflicht zu lax gehandhabt. Überzeugende Sicherheitssysteme wurden nicht verlangt. MMS-Chef Chris Oynes mußte zwar gehen, und US-Präsident Barack Obama hat eine Untersuchungskommission eingesetzt. Ein Stopp der Ölförderung im Golf von Mexiko wurde nicht verlangt, denn von dort wird fast ein Drittel des US-Ölbedarf gedeckt.

Immer mehr Plattformen pumpen weltweit Öl aus den lichtlosen und für Menschen unzugänglichen Tiefen von tausend Metern und mehr. Mit einer nicht ausgereiften Technik sollen schwerer zugängliche Lagerstätten erschlossen werden. Außerhalb von God’s own country ist der Pro-Kopf-Verbrauch zwar geringer, aber auch Europa und Japan oder Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien und Mexiko brauchen Öl.

„Können neue technische Entwicklungen die Tendenz unseres Weltsystems, bis zum Zusammenbruch weiterzuwachsen, verändern?“, fragte schon 1972 Dennis L. Meadows in seinem Buch über „Die Grenzen des Wachstums“. Wenn bevölkerungsreiche Volkswirtschaften in Asien zum westlichen Lebensstil aufschließen, dann kann man viel über Risiken bei Ölbohrungen in der Tiefsee und bei der Nutzung der Atomkraft lamentieren – die Sachzwänge werden ihre eigene Wirklichkeit schaffen.

Geht es wie bei den Bohrungen in Tiefsee um Grenzfragen des technisch Machbaren, dann darf der Aufsicht führende Staat nicht zur Beute von Lobbyinteressen werden. Denn wo viel Geld im Spiel ist, endet rationales Handeln. Der Senator Obama aus Illinois lehnte Ölbohrungen vor der Küste der USA strikt ab. Der Wahlkämpfer Obama hielt dies unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll. Der Präsident Obama genehmigte nur wenige Wochen vor der Deepwater-Horizon-Katastrophe – wie sein Vorgänger George W. Bush – neue Ölbohrungen vor der US-Ostküste und Teilen Alaskas.

Es ist offenbar derzeit ein Tabu, über das unausweichliche quantitative Wachstumsende zu sprechen. Die Spaßgeneration glaubt immer noch, für ihre Unterhaltung werde immer gesorgt sein. Nach dem Ölzeitalter komme eben ein postfossiles Zeitalter – nur darüber, ob es zunächst das atomare oder gleich das solare Zeitalter ist, streitet man sich. Manche Zeitgenossen werden sogar aggressiv, wenn man sie auf die Grenzen der momentanen Wirtschaftsweise bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung hinweist. Die Menschen ließen sich schließlich noch immer etwas einfallen, wird argumentiert.

Das Fördermaximum (Peak-Oil) soll nach Expertenauffassung 2009 schon erreicht worden sein, während die Nachfrage weiter steigt. Die vor einigen Jahren aktualisierten „Grenzen des Wachstums“ bieten unter sechs Szenarien fünf auf, die mit einem Kollaps des globalen Systems im 21. Jahrhundert enden. Der Klimawandel ist dabei nur ein Teilproblem, das verdeutlicht die Ölpest im Golf von Mexiko. Die Menschheit lebt in vielen Bereichen über das Maß hinaus, das ihre Lebensgrundlagen auf der Erde dauerhaft verkraften können. Daß sich daran etwas ändert, ist geradezu utopisch.

Das sollte keine Ausrede für den teuren Leichtsinn sein, wie ihn die BP aus kurzfristigen Profitgründen betrieben hat. Diese Katastrophe war in diesem Ausmaß vermeidbar. Sie ist ein Produkt von unzulänglichen politischen Genehmigungsstrukturen. Aber auch unter verbesserten Bedingungen bleibt für die Ölförderung in der Tiefsee ein Restrisiko, das uns den Rest geben kann.

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