© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Danke, Christus, für den Krebs
Theater: C. Schlingensiefs „Via Intolleranza II“
Harald Harzheim

Ein Operndorf, ein „Bayreuth aus Lehm“ wollte Christoph Schlingensief in Burkina Faso (Afrika) errichten. Nicht als milde Gabe der „ersten“ Welt an die „dritte“, sondern als Ort des Austauschs: westlich Materielles gegen afrikanische Spiritualität – ein Profit für beide Seiten. Jetzt war Schlingensief zur Grundsteinlegung dort und kehrte mit afrikanischen Darstellern sowie einem neuen Bühnenprojekt zurück: „Via Intolleranza II“, nach einer Oper von Luigi Nono – uraufgeführt in Brüssel und jetzt in die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel verpflanzt.

Von Nonos Oper (1961) über einen Gastarbeiter blieb lediglich motivische Struktur. Statt dessen präsentiert der Regisseur die Scherben seiner Afrika-Vision: Vor einem halbhohen Brechtvorhang, auf dem man die 1911er-Verfilmung von Dantes Höllenphantasie „Divina Commedia“ projiziert, erzählt Schlingensief von der Hölle seiner Krebserkrankung. Und er erzählt, wie er in Afrika auf Menschen traf, die sich über Mißgeschicke nicht empörten, sondern Christus noch dafür dankten. Deren Haltung suchte er zu adaptieren: Danke, Christus, für den Krebs! ruft der Gequälte aus. Durch ihn habe er schließlich Klarheit gewonnen.

Aber das stimmt nicht: Schlingensiefs Dankgebet ist verbittert. Geprägt durch prometheische Kultur, kann er nicht zu derartiger Demut zurück. Dieser Riß zieht sich durch den ganzen Abend. Afrikanische Darsteller, Sänger Tänzer mit ihren körperlich-vitalen Rhythmen prallen in wilder Szenencollage auf Wagners „Tristan und Isolde“-Klänge – eine  Musik, die körperliches Auflösen, Zerfließen feiert. Gegenseitige Faszination, Identifikation, Einsfühlen, aber auch kulturell Trennendes, Wut und Verachtung finden hier Artikulation: Ein Afrikaner spottet über gutmenschliche Europäer, die mit einem Subventionsprojekt nach Afrika kommen – und meint damit den Regisseur. Auch westlicher Betroffenheitskult findet keine Gnade: So erinnert die Schauspielerin Brigitte Cuvelier an die sechs Millionen Afrikaner im „K.Z. Hagenbeck“, die in europäischer Kälte erfroren seien.

In dieser Szenerie wird der seit 2008 an Lungenkrebs erkrankte Christoph Schlingensief zur Verkörperung des endzeitlichen Europa, das in anderen Kulturen spirituelle Rettung sucht und scheitert. Dennoch: Rastlos, mit zunehmender Beschleunigung sucht und inszeniert der Fünfzigjährige weiter; mit einer Wahrhaftigkeit, die immer wieder Momente der Erlösung hervorbringt – für sich und sein Publikum.

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