© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/10 28. Mai 2010
Auf dem Weg zur Fußnote deutscher Geschichte Auch Günter Grass, der oberlehrerhafte Klugscheißer (Willy Brandt), hat mitunter lichte Momente. So 2002 in Halle, als er ein wenig völkerrechtliche Exegese trieb und feststellte, daß in keinem Potsdamer Abkommen stehe, mit der Annexion Ostdeutschlands müsse man auch dessen kulturelle Substanz preisgeben. Genau diese Preisgabe, so der pensionierte Oberschulrat Karlheinz Lau, vollziehe sich aber derzeit und drohe mit dem Tod der letzten Angehörigen der ostdeutschen Erlebnisgeneration in naher Zukunft zum Abschluß zu kommen (Deutschland-Archiv, 2/2010). Innerhalb der Vertriebenenverbände sei auf eine Weitergabe der Erinnerung nicht zu rechnen: die Nachwuchsarbeit der großen Landsmannschaften dürfe als nahezu bedeutungslos eingestuft werden. Für eine solche kollektive Amnesie scheinen die Weichen allerdings seit langem gestellt. Bereits 1984 empfand der Althistoriker Alfred Heuß, der in Breslau und Königsberg gelehrt hatte, die Bundesdeutschen dächten an Ostpreußen, Pommern und Schlesien so schattenhaft zurück wie die Franzosen an ihr fernes verlorenes Indochina. Zwanzig Jahre später fiel auch Karl Schlögel (Frankfurt/Oder) auf, wie eigentümlich folgenlos die säkulare Zäsur des Untergangs einer fast tausendjährigen deutschen Kulturlandschaft nach 1945 geblieben ist. Schlögel glaubte daher, das Absinken Ostdeutschlands zu einer Fußnote unseres historischen Gedächtnisses beobachten zu können. Auch Lau weiß genügend Symptome aufzuzählen, die darauf hindeuten, Ostdeutschland zur memorialen Fußnote zu degradieren. Dazu gehört für ihn allerdings nicht die obstinate Erinnerungsverweigerung der politischen Klasse, wie sie nicht erst in zahlreichen Versuchen zutage trat, das Zentrum gegen Vertreibungen zu sabotieren. Lau verschweigt diese Obstruktion wie auch die beharrliche polonophile Desinformationspolitik der Medien und der etablierten Geschichtswissenschaft, weil er als Mitglied der deutsch-polnischen Schulbuchkommission selbst an dieser offiziösen Erinnerungsentsorgung beteiligt ist. Von welchen Prämissen er dabei ausgeht, ergibt sich aus freudigen Bekenntissen zu den Dogmen Tätervolk, deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg sowie Flucht und Vertreibung samt Landraub als vermeintlich gerechte Strafe für unsagbare Verbrechen am Nachbarvolk Polen. Wer an diesen nach 1990 nahezu unbeschädigt aus dem Reservoir der SED-Geschichtsklitterungen geretteten Weisheiten, die Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) soeben noch einmal ganzseitig in der Welt (Ausgabe vom 17. Mai) in stumpfsinniger Ignoranz herunterbetet (Ohne Hitlers Rassismus keine Vertreibungen), zweifelt, den rechnet Spaßvogel Lau unter die Betonköpfe. Entsprechend skeptisch registriert man seine auf so schwankendem Boden fabrizierten Vorschläge, wie der drohende Geschichtstod Ostdeutschlands doch noch abzuwenden sei. Lau hofft dabei etwa auf ein vor der Drucklegung stehendes Deutsch-polnisches Schulbuch, das angeblich ohne ideologische Scheuklappen gemacht werde wobei er das Mantra vom Tätervolk offenbar für unideologisch hält. Ferner seien da Bürgerinitiativen wie die polnische Borussia in Allenstein oder die Träger des Hauses Brandenburg in Fürstenwalde, die die sinnstiftende Erinnerungsaufgabe nach dem Verschwinden der Erlebnisgeneration fortsetzen könnten. Erfolgreich kann dies aus Laus Blickwinkel jedoch nur geschehen, wenn sie die bundesdeutsch-polnische Vorgabe von alleiniger deutscher Schuld und Verantwortung am Verlust der Ostgebiete als Arbeitsmaxime verinnerlichten. Für erforderlich hält Lau zudem eine Anpassung des Bundesvertriebenengesetzes in dem Sinne, daß auch die nunmehr 60jährige Geschichte Westpolens für die ostdeutsche Erinnerungspflege verbindlich sein solle. Und wenn man schon beim Anpassen sei, so könnte die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung der CDU ihren Beitrag gewiß effizienter leisten, wenn ihr Name überdacht würde. Eingetrübt zeigt sich Laus Optimismus nur durch die herkulische Aufgabe, jungen Deutschen mit Migrationshintergrund die Bedeutung des ehemaligen deutschen Ostens, des Holocaust oder der Vertreibung der Deutschen zu vermitteln. Wie könne ein Kind türkischer Eltern dies als Teil deutscher Identität akzeptieren? Im Bemühen, auf der Basis von Laus und Thierses Rettungs-Phantasmen voranzukommen, will das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität dem weiterhin als Vertriebenenprojekt an Erika Steinbachs langer Leine diffamierten Unterfangen im Berliner Deutschlandhaus den Schneid abkaufen. Vor einem Monat jubelte Die Zeit (Ausgabe vom 13. April.): Während das Zentrum gegen Vertreibungen von einer Krise in die nächste taumle, arbeitet das Netzwerk. In Warschau domizilierend, von dem aufdringlich polonophilen Matthias Weber und Andrzej Przewoznik geleitet, sei dort Internationaliät garantiert, während sie in Berlin, wo es natürlich gar nicht um Versöhnung mit Polen gehe, nur Camouflage sei. Im witzigen Rückgriff auf einen illusionären Objektivismus des 19. Jahrhunderts glaubt man in der Zeit allen Ernstes, Leute wie Weber und sein polnischer Kopilot seien politisch neutral und nur der historischen Wahrheit verpflichtet. Genau deswegen war es ihnen vermutlich ein Herzensanliegen, die Vertreibung nicht etwa der Sudetendeutschen, sondern der 1919/20 nach Eger oder Reichenberg versetzten tschechischen Beamten und Funktionäre untersuchen zu lassen. Und darum sollen mit Geldern des Netzwerkes bald vermeintliche Standardwerke anglo-jüdischer Autoren wie Joseph B. Schechtman oder Eugene Kulischer ins Deutsche, Polnische und Tschechische übersetzt werden, die gewiß der Versöhnung dienen, weil sie die Prager und Warschauer Lesart des ostdeutschen Ethnozids kolportieren. Mit der Revision der Schulbücher, auf die Lau ja schon die größten Erwartungen setzt, soll dann forciert fortgefahren werden, wie überhaupt so tönt Worthülsen und SED-Vokabular nicht scheuend Markus Meckel (SPD), wie Thierse ein ewiger Mitläufer die Jugendarbeit des Netzwerkes der beste Garant dafür sei, im europäischen Dialog die Ursachen der Umsiedlungen (der Deutschen?) und von Flucht und Vertreibung (der Polen und Tschechen!) zu ergründen. |