© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Ein Zeichen des Verfalls
Bundespräsident: Der überstürzte Rücktritt Host Köhlers vom Amt des Staatsoberhauptes steht sinnbildlich für die Schwäche Deutschlands
Paul Rosen

Das bürgerliche Lager in Deutschland zerfällt. Erst ging Friedrich Merz, dann Roland Koch, und jetzt hat sogar der Bundespräsident sein Amt hingeschmissen. Horst Köhler ging so überraschend, wie er 2004 in der ersten Reihe deutscher Politiker erschienen war. Horst wer? fragte damals die Bild-Zeitung und nahm vorweg, was sich sechs Jahre lang bestätigen sollte. So richtig bekannt war dieser Präsident nie, verankert im Volk wie Theodor Heuss, Walter Scheel oder Karl Carstens schon gar nicht. Er war immer der gebildete, umsichtige, aber auch distanzierte professorale Typ Mensch, der sein Publikum vielleicht überzeugen, aber sicher keine Herzen gewinnen kann.

In einer kurzen Erklärung hatte Köhler, der erst vor einem Jahr in die zweite Amtszeit gewählt worden war, auf eine Interview-Äußerung Bezug genommen, für die er heftig kritisiert worden war. Köhler hatte mit Blick auf die wirtschaftliche Dimension der Auslandseinsätze der Bundeswehr erklärt, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege. Das ist ein Satz, der jedem fremden Staatsmann ohne Bedenken über die Lippen gekommen wäre, aber im sicherheitspolitisch hochneurotischen Deutschland zu Debatten führt, ob man Truppen einsetzen darf, um die Ölversorgung zu sichern.

Sicher kann man der Meinung sein, daß Köhler sich diplomatischer hätte ausdrücken können. Aber für einen Rücktritt reichen diese Köhler-Worte keinesfalls aus, auch wenn ihm Linkspartei-Politiker wie bissige Dackel an den Beinen hingen. Auffallend war allerdings, daß sich Unionspolitiker mit stützenden Äußerungen für den Präsidenten zurückhielten.

Es gibt auch viele Hinweise aus dem sonst so verschwiegenen Präsidialamt, daß Köhler ein schwieriger Chef war, ein Launischer, der selten zufrieden war. Die Aufmerksamkeit für seine Person und Ansichten war rückläufig. Aber wenn der Köhler seinerzeit von der FDP mitgegebene Pressesprecher Martin Kothe geht, ist das für den Präsidenten doch noch lange kein Grund, seinerseits den Hut zu nehmen.

Vielleicht hat der Rücktritt tiefere Gründe. Es fällt auf, daß mit Koch und Köhler zwei Politiker die Bühne verlassen, die fundierte Kenntnisse in der Geld- und Währungpolitik haben. Die Person Köhler ist mit der Euro-Währung verbunden wie keine zweite. Der 1943 als Kind von Bessarabien-Deutschen im Generalgouvernement geborene Wirtschaftswissenschaftler Köhler war als Staatssekretär im Bonner Finanzministerium direkt an den Verhandlungen zur Euro-Einführung beteiligt. Von 2000 bis zur ersten Wahl als Präsident war Köhler Präsident des Internationalen Währungsfonds (IWF), der jetzt eine besonders wichtige Rolle beim Versuch der Euro-Stabilisierung spielt. Köhler lehnte sich in Sachen Euro weit aus dem Fenster: Es wird nicht so sein, daß der Süden bei den sogenannten reichen Ländern abkassiert. Dann nämlich würde Europa auseinanderfallen, verriet Köhler 1992 dem Spiegel.

Der erste Satz, das Abkassieren südlicher Länder wie Griechenland, hat begonnen. Satz zwei, das als Bedrohung dargestellte Auseinanderfallen Europas, steht möglicherweise bevor. Durch seinen Rücktritt mit einer nicht überzeugenden Begründung nährt Köhler den Verdacht, daß es in Europa um mehr geht als um Milliarden-Hilfsfonds. Der Rücktritt dürfte auch im Ausland als Zeichen der Schwäche Deutschlands im europäischen Konzert verstanden werden.

Köhler war das Produkt von Angela Merkel und Guido Westerwelle. Die CDU-Chefin und der FDP-Vorsitzende installierten den Finanzfachmann als Zeichen für ihr schwarz-gelbes Wunschbündnis, und vor einem Jahr war Köhlers Wiederwahl das Zeichen für das bevorstehende Ende der Großen Koalition und den Aufbruch in die schwarz-gelbe Zeit. Sein Rücktritt kann, auch wenn die eigentlichen Gründe (noch) im dunkeln liegen, als Menetekel für das vorzeitige Ende der angeschlagenen Merkel/Westerwelle-Regierung angesehen werden. Im Hintergrund blinken schon wieder die Signale der Großen Koalition, an der Merkel stets mehr Gefallen gefunden haben soll als am Regieren mit einer FDP, die ihren Wahlsieg von 14 Prozent inzwischen als unverdaubar großen Brocken empfindet.

2004 wurde Köhler in Westerwelles Wohnung bei einem konspirativen Treffen auf den Schild gehoben. Zwar haben Union und FDP trotz der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen immer noch eine Mehrheit in der Bundesversammlung, aber ob Teile der Union oder auch der FDP nicht bereits auf eigene Rechnung spekulieren und an Kanzlerin und Außenminister vorbei abstimmen könnten, ist eine ganz andere Frage. Die Wahl des nächsten Präsidenten in knapp 30 Tagen wird auch zur Schicksalsstunde für die Regierung, vielleicht sogar für Merkel. Auf Westerwelles Plüschsofa wird sich die Zukunft Deutschlands nicht mehr so einfach planen lassen wie 2004.

Unabhängig von den wahren Gründen zeigt Köhlers Rücktritt den bisher meist nur unter der Oberfläche stattfindenden Prozeß des Zerfalls: in der bürgerlichen Koalition, in Deutschland und in Europa.

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