© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Erdrutsch an der Moldau
Tschechische Parlamentswahl
Jörg Fischer

Die Parlamentswahl 2006 hatte ein Patt gebracht: Rechtsliberale (ODS), Christdemokraten (KDU-SL) und Grüne (SZ) erhielten zusammen ebenso 100 Sitze wie Sozialdemokraten (SSD) und Kommunisten (KSM). Die von SSD-Dissidenten gestützte Jamaika-Koalition hielt aber bis Anfang 2009. Die Wahl vergangene Woche brachte zwar klare Mehrheiten, diese gingen aber mit einem politischen Erdbeben einher: Die einst führende ODS stürzte von 35,4 auf 20,2 Prozent (53 Sitze) ab, die SSD von 32,3 auf 22,1 Prozent (56 Sitze), die KSM rutschte mit 11,3 Prozent (26 Sitze) auf Rang vier ab.

Die Grünen und die KDU scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Dafür schafften zwei politische Neugründungen auf Anhieb den Sprung ins tschechische Abgeordnetenhaus: Die wirtschaftsliberal-konservative Partei Tradition, Verantwortung, Prosperität (TOP 09) von Ex-Außenminister Karl Fürst zu Schwarzenberg kommt auf 16,7 Prozent (41 Sitze), die Bewegung für Öffentliche Angelegenheiten (VV) des populären Fernsehjournalisten Radek John auf 10,9 Prozent (24 Sitze).

Die vom früheren Finanzminister Miroslav Kalousek (KDU) initiierte TOP 09 hat ihren Erfolg nicht nur dem populären 72jährigen Oberhaupt des Hauses Schwarzenberg zu verdanken (der ab 1948 in Österreich aufgewachsene Fürst bekam mit 46.087 die meisten Persönlichkeitsstimmen), sondern auch ihrem medial befeuerten Image als Partei der jungen und erfolgreichen Generation: So warben die attraktiven Schauspieler Martha Issová und Jií Mádl beispielsweise in ihrem Wahlwerbespot dafür, Oma und Opa zu überreden, bürgerlich zu wählen. In Prag wurde TOP 09 mit 27,3 Prozent sogar vor der ODS stärkste Partei. John brachten das Versprechen vom Kampf gegen Korruption und Kriminalität sowie seine Forderung nach Volksabstimmungen viele Proteststimmen ein.

Da weitere Alt- und Neuparteien darunter die links­populistische SPOZ von Ex-SSD-Premier Milo Zeman (4,3 Prozent), die EU-kritische Suverenita von Petr Hannig (3,7 Prozent) und die rechte DSSS von Hana Pavlíková (1,1 Prozent) es nicht ins Parlament schafften, läuft alles auf ein neues Dreier-Bündnis aus ODS, TOP 09 und VV hinaus, das mit 118 Sitzen eine solide Mehrheit hätte und den Wahlverlierer Petr Neas (ODS-Chef) wohl dennoch zum Regierungschef machen würde.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen