© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Ein verunglimpftes Multitalent
Hanf-Anbau: Industrie-Lobbyisten brachten ein pflanzliches Ökowunder gezielt in Verruf nun steht eine Renaissance bevor
Michael Howanietz

Viele denken bei Hanf sofort an Rauschgift und verlotterte Langzeitstudenten. Doch Hanf ist nicht gleich Hanf. Der zur Gewinnung von Rauschmitteln verwandte Indische Hanf (Cannabis indica) ist reich an der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC). Der THC-arme Hanf (Cannabis sativa), der zahlreiche Vorzüge aufweist, eignet sich hingegen nicht zur Herstellung halluzinogener Drogenpräparate.

Dieser Faser- oder Nutzhanf wurde dennoch mit seinem als Ausgangsstoff für Haschisch gebräuchlichen Verwandten unter dem Namen Marihuana gleichgestellt, um vormals hanfbesetzte Märkte für neue Produkte der Großindustrie zu öffnen. Bis ins 19. Jahrhundert war Hanf die weltweit wichtigste Nutzpflanze. China, Indien und Persien nutzen die Pflanze seit Tausenden Jahren auf vielfältigste Weise. In antiken Schlachten kamen die Blätter der Pflanze in der Wundversorgung zum Einsatz.

Johannes Gutenberg druckte seine erste Bibel auf Hanfpapier, Levi Strauß schneiderte seine erste Jeans-Hose aus Hanfmaterial, denn Arbeitskleidung und Uniformen waren jahrhundertelang hanfbasiert. Reiß- und Naßfestigkeit der Faser sind im Vergleich zur Baumwolle herausragend. Doch die Pflanze konnte damals noch nicht maschinell geerntet werden, ihre manuelle Verarbeitung war mühsam. Die Textilindustrie setzte daher auf die billige Baumwolle. Das von dem Deutschen Friedrich Gottlob Keller erfundene Holzpapier verdrängte die Hanffasern in diesem Bereich.

Die Pharmaindustrie, die neue synthetische Erzeugnisse zu Lasten der bewährten Cannabis-Präparate positionieren wollte, sprang auf den Anti-Hanf-Feldzug der Holzkonzerne auf. Industrie-Lobbyisten setzten eine Hanf-Steuer und bald danach ein Hanfanbau-Verbot in den USA durch. Der THC-reiche Verwandte des Nutzhanfs wurde als Begründung vorgeschoben.

Das Deutsche Reich hingegen förderte seit den dreißiger Jahren den Hanfanbau zu Kriegszwecken. Die vom Reichsnährstand herausgegebene Schrift Die lustige Hanffibel warb für dessen verstärkten Anbau von 200 Hektar (1932) stieg die Anbaufläche auf 16.000 Hektar (1939). Im Zuge der Rohstoffverknappung orientierten sich auch die USA wieder um: Der 1942 vom Washingtoner Agrarministerium produzierte Propagandafilm Hemp for Victory (Hanf für den Sieg) idealisierte den kurz zuvor noch verteufelten Hanf als kriegswichtige Ressource.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand Cannabis sativa im Gegensatz zum THC-reichen Cannabis indica in der wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit. Erst aufgrund einer Klage wurde der Anbau von THC-armem Hanf ab 1996 in Deutschland wieder zugelassen. In Österreich wird die Pflanze derzeit auf lediglich 600 Hektar kultiviert. Sogar die EU subventioniert die alte Nutzpflanze in bescheidenem Umfang. Und dank effizienter neuer Herstellungsverfahren hat auch die Industrie den einst verdammten Rohstoff wiederentdeckt.

Dabei geht es nicht um Nischenprodukte wie Hanf-Gebäck oder Hanf-Bier. Aus Hanffasern werden modernste Autoinnenverkleidungen gefertigt sowie Dämm- und Isolierstoffe gewonnen. Aus Hanfsamen lassen sich kosmetische Präparate und vielfältige Nahrungsmittel erzeugen. Besonders wertvoll für den Konsumenten ist bei letzteren der hohe Gehalt an ungesättigten Fettsäuren und Vitaminen. Darin enthalten sind alle acht essentiellen Aminosäuren, die der menschliche Organismus benötigt, aber nicht selbst herstellen kann. Hanföl, das wie jedes herkömmliche Speiseöl verwendet wird, gilt deshalb als besonders hochwertiges Lebensmittel.

Auch in der Papierindustrie setzt ein Umdenken ein, da Hanfpapier gegenüber dem Holzpendant haltbarer ist. Hanfpapier ist zudem viermal häufiger recycelbar. Die Sonnenlicht optimal ausnutzende und zudem schnell wachsende Hanfpflanze ist bislang kaum schädlingsanfällig, was eine teure und fragwürdige Insektizidanwendung weitgehend überflüssig macht. Eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit wird daher in diesem Jahrhundert wohl eine imposante Renaissance erleben. Die deutsche Landwirtschaft sollte diese Chance nutzen, denn die Nachfrage steigt.

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