© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Blüten des Unbehagens
In den Städten keimt Protest: Selbst das Bürgertum macht mit beim botanischen Terrorismus
Harald Harzheim

Was sind das für Attentäter, die nachts Überraschungsanschläge mit Samenbomben verüben? Martialische Porno-Terroristen? Nein, es sind Soldaten des Guerilla Gardening, einer globalen Bewegung von Wildpflanzern. Die sind bereits in allen Großmetropolen der Welt aktiv, leisten Widerstand gegen Okkupierung des Stadtraums durch Investoren und gefügige Ämter, wollen den zuzementierten, luxussanierten und sterilisierten Zentren wieder einen Anstrich von Asphalt-dschungel verleihen.

Wenn Großstädter seltsame Bäumchen auf Verkehrsinseln, exotisch überwucherte Brachen oder gar Pflänzchen aus einem U-Bahn-Aschenbecher spießen sehen, dann stehen die Chancen gut, daß es sich hierbei nicht um Zufall, sondern um das Resultat gezielter Aktionen handelt. Ihre Urheber sind Leute, die alles Hoffen auf bürgerorientierte Stadtplanung aufgegeben haben und in den botanischen Untergrund gegangen sind. Sie düsen nachts mit dem Auto durch die Straßen und werfen im Revolutionsrausch das Saatgut aus dem Fenster. Oder sie pflanzen zwei Bäume auf der Überholspur einer Autobahn (wie die Journalistin Berit Uhlmann zu berichten weiß.)

Was bei New Yorker Stadtanarchisten begann und am 1. Mai 2000 internationalen Durchbruch erlebte als Umweltaktivisten den verkehrsreichen Parliament Square in London begrünten , das ist zehn Jahre später weltweit vernetzt und verfügt über eine praxisnahe Kampfschrift: Guerilla-Gärtnern, ein botanisches Manifest. Die bietet dem Öko-Partisanen eine militärische Grundausbildung in Sachen Tarnkleidung und der Wahl von Angriffszielen. Ihr Londoner Autor Richard Reynolds verfügt über sechsjährige Erfahrungspraxis, in der er die scheußlichsten Ecken seiner Heimatstadt mit Alpenveilchen und Lavendelblüten torpedierte.

Wen wunderts, daß geschäftstüchtige Industrien auch diese Bewegung als Käuferschicht entdeckte: So wie sie einst Punker mit teuren Jeanshosen versorgten, die Designer zuvor zerrissen und mit exklusiven Flicken versahen, kann man jetzt handliche Samenkapseln für den ökologischen Aufstand erwerben. Merke: Sogar politische Bewegungen lassen sich gentrifizieren.

Solche Kommerzialisierung und die bereits angekurbelte Zusammenarbeit zwischen Öko-Partisanen und Behörden öffneten das Guerilla-Gärtnern schließlich für den Mittelstand. Das war jetzt kein pures Wiedererobern okkupierter Stadtareale mehr, sondern blitzschnell in bürgerliche Kulturtradition integriert. Erinnern wir uns an den romantischen Ruinenkult: Da sind alte Gemäuer ohne Wildwuchs undenkbar. Das prometheische Bürgertum, ganz der Technik, dem Machbaren verschrieben, feierte in der romantischen Ruine heimlich das Loslassen, die Rückkehr des Verdrängten, des Vegetativen. Die zeitübergreifende Natur kam wieder zu ihrem Recht. Das machte den Ruinenkult zum homöopathischen Heilmittel gegen industrielle Entfremdung.

Auch das bürgerliche Eigentumshaus schmückt(e) sich gern mit der Ästhetik von Efeuranken. Nicht anders die heutigen Öko-Partisanen: Auf deren Berliner Plattform (http://guerrillagardening.org/community/index.php?board=91.0) spricht ein Mitglied von der poesie der stadtbegruenung und stellt deshalb kleine gedichttaefelchen neben das spontangruen.

Auch eine anthropologische Konstante läßt sich im Guerilla-Gärtnern entdecken. Im Zeitalter der Informatik wird das menschliche Gehirn oft und gerne mit einem Computer (und dessen Datenverarbeitung) verglichen. Wer aber deren spießig-unflexible, zu hundert Prozent intuitionsfreie Software kennt, kann über den Vergleich nur staunen.

Schon vor 18 Jahren widersprach der Biologe und Nobelpreisträger Gerald Edelman: Ihm gleicht die Gehirnfunktion weniger einem Computer als vielmehr der lebendigen Ökologie des Dschungels. Auch das mit ihr verbundene Herz ist ein dunkler Wald wie der gleichnamige Nicolette-Krebitz-Film (2007) zu berichten weiß. Deshalb ist ein völlig durchrationalisierter Stadtraum, ohne Spontanität im Wachsen und Entstehen, ohne Diskontinuität, höchst menschenfeindlich, steht konträr zur psycho-physischen Funktion seiner Bewohner.

Nun haben schon frühe Tarzan-Filme auf die Angst des weißen Mannes vor dem inneren und äußeren Dschungel verwiesen. Und in der Tat, Natur pur ist absoluter Horror, aber ebensosehr deren restlose Verdrängung. Deshalb entwarf einer der radikalsten Kulturkritiker, Theodor Lessing, bereits 1925 das Hoffnungsbild einer Birke, die Wurzeln schlägt in jedem armen Schotterhaufen und neu emporbricht selbst aus deutscher Gefängnismauer. Und sind unsere Großstädte inzwischen anderes als die Gefängnisse kommerzieller Interessen?

Deshalb ist auch die neuerliche Zusammenarbeit zwischen Guerilla-Gärtnern und Behörden nur bedingt von Vorteil. In den letzten Jahren forderten Ökologen die Wildpflanzer auf, sich bei den Ämtern über die Beschaffenheit von Biotopen zu informieren. So ließe sich zum Beispiel die Aussaat von Eßbarem auf verseuchtem Boden verhindern oder von Blumen, die für Insekten nutzlos sind.

Inzwischen stellen Städte den gezähmten Guerilla-Kriegern sogar Grundstücke zur Verfügung. Dort werden Gärten errichtet, verschönert und geerntet. So vorteilhaft das für beide Seiten sein mag, es nimmt der Bewegung zugleich den vitalen Stachel. So geht nicht nur der Schock- und Überrumplungseffekt verloren, der den Überraschungspflanzungen innewohnte und der für jede Kriegführung unverzichtbar ist. Es verschwindet auch die Erfahrung des Wunderbaren wenn sich beispielsweise in der Mini-Ritze eines grauen Betonpfeilers eine kleine Pflanze durchsetzt.

Richard Reynolds: Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest, Orange Press, Freiburg 2009, broschiert, 256 Seiten, 20 Euro Im Internet: www.guerillagardening.org

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