© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

CD: Blood Axis
Organisch
Dominik Tischleder

Lange, sehr lange mußte man auf ein neues Album von Blood Axis warten, aber nun ist endlich nach fünfzehn Jahren der Nachfolger des legendären The Gospel of Inhumanity-Werkes erschienen, passend mit Born Again betitelt. Fünfzehn Jahre sind in derlei subkulturellen Nischen eine Zeit, in der eigentlich jede Form von Stetigkeit sich allmählich auszehrt, denn natürlicherweise ist die Karawane weitergezogen; wer einst mit Vorfreude auf ein neues Album wartete, ist heute womöglich mit ganz anderen Dingen beschäftigt.

Noch mehr allerdings zeigt sich der durch die Zeit hervorgerufene Kontinuitätsbruch im Inhaltlichen und Musikalischen. So gilt besagtes Gospel-Album bis heute Freund und Feind als gelungenster Versuch, eine offenkundig von diversen konservativ-revolutionären Inspirationsgrößen vermittelte Haltung in bedeutungsschwangere Klangcollagen umzusetzen, und eben dieser Wille zu zur Schau gestellter Weltanschauung würde heute unweigerlich als ein Neunziger-Jahre-Relikt gelten und somit lächerlich wirken.

Blood Axis haben sich mit ihrer Rückkehr jedenfalls entschieden, ihren Schwerpunkt verstärkt in der Musik im eigentlichen Sinne zu suchen. Früher bestand der Reiz zum Teil darin, daß sich ihr Klangpuzzle erst durch Hintergrundwissen erschließen ließ. Wer beispielsweise wußte, daß eine bestimmte Klavierweise von Nietzsche komponiert war, eröffnete sich damit beim Hören ein viel breiteres Assoziationsfeld. Dieser kombinatorische Zugang scheint auf Born Again komplett aufgegeben, mit der Folge, daß Blood Axis nun viel zugänglicher sind. Sie präsentieren sich heute auch nicht mehr als martialisches Collagen-Projekt, sondern als teilweise rockige Folklore-Truppe mit keltischen Tendenzen und manchmal nicht weit von Steeleye Span entfernt.

Damit einher gehen Änderungen im Atmosphärischen: Assoziierte man mit Blood Axis früher jene unheilvolle Mischung aus Dekadenzbewußtsein und grimmigem Amor fati, so überrascht Born Again nun mit Renaissance-Bezügen und amerikanischer Zuversicht. Sowieso steht hier manches auf der Kippe, der auffallende Abwechslungsreichtum des Albums kann mitunter überladen wirken. Nichtsdestotrotz haben sich einige typische Merkmale erhalten, etwa der virile Gesang von Michael Moynihan, die einschmeichelnden Geigentöne und die geistreiche Auswahl literarischer Textvorlagen. Vertont wurde unter anderem Ovid und Walther von der Vogelweide, letzterer vom studierten Germanisten Moynihan in mittelhochdeutsch vorgetragen, was allerdings unweigerlich für deutsche Ohren eine nicht ganz freiwillige schrullige Note bekommt, zu sehr ist noch vernehmbar, daß hier ein germanophiler Amerikaner eine Herzensangelegenheit auslebt.

The Vortex dürfte indes der Höhepunkt des Albums sein. Zu minimalistischer Klavierbegleitung raunt Moynihan eindringlich einen mystischen Text des heute vergessenen, aber noch von James Joyce geschätzten englischen Schriftstellers Richard Jefferies, der vor allem für seine Naturbeschreibungen gerühmt wurde. Im Waldesdunkel dieses Stücks spürt man, daß hier Blood Axis ganz bei sich und ihrer Vision organischer, traditionsbewußter Folklore angekommen sind, die anno 2010 auch ohne ein Feuerwerk Mohlerscher Bekenntnisse auskommt.

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