© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Politfloskeln von der Reservebank
Friedrich Merz und Wolfgang Clement meinen zu wissen, was jetzt zu tun ist
Detlev Kühn

Die beiden Autoren dieses schmalen Bändchens sind oder sollte man besser sagen: waren? in der deutschen Politik keine Unbekannten. Wolfgang Clement (damals SPD) brachte es bis zum Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen von 1998 bis 2002 und zum Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit in den Jahren 2002 bis 2005. Nach einem quälenden Parteiverfahren, das fast zu seinem Ausschluß geführt hätte, verließ er die SPD und äußert sich jetzt gelegentlich freundlich über die FDP.

Friedrich Merz war zwanzig Jahre lang Abgeordneter der CDU, zuerst im Europäischen Parlament, dann im Deutschen Bundestag, galt als Hoffnungsträger seiner Partei und brachte es immerhin zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, bis ihn Angela Merkel 2002 aus dieser Funktion kampflos verdrängte. Heute haben beide Ex-Politiker in der Wirtschaft noch einige Aufsichtsrat-Mandate inne. Sie wissen, was jetzt zu tun ist, und lassen uns an ihren Erkenntnissen teilhaben.

Im ersten Drittel des Buches beschäftigen sie sich mit der internationalen Finanzkrise und ihren Folgen. Das zentrale Datum ist in diesem Zusammenhang für sie der 15. September 2008, der Tag, an dem die amerikanische Bank Lehman Brothers bankrott ging. Danach habe die Bundesregierung der Großen Koalition mit ihrer Finanz-Flutung eigentlich alles richtig gemacht. Nun müsse man auf Konsolidierung und (dennoch) weiteres Wachstum setzen. Dies dürfe allerdings nicht durch neue Schulden finanziert werden.

Mit der Krise des Euro, die heute in aller Munde ist, brauchten die Autoren sich noch nicht zu beschäftigen; denn sie haben ihr Manuskript bald nach der Bundestagswahl 2009 abgeschlossen. Wolfgang Clement sah damals noch die in seinen Augen richtige Politik eher bei der von Guido Westerwelle geführten FDP, hoffte allerdings sehr, daß ich mich nicht getäuscht habe. Friedrich Merz glaubte jedoch schon nicht mehr an eine Steuerreform im Sinne größerer Entlastungen.

Bei den vielen mehr oder weniger nachvollziehbaren Vorschlägen, die Clement und Merz machen, ist eines klar: Ebensowenig wie sie auf Wachstumspolitik, nun aber endlich vernünftige, verzichten wollen, darf ihrer Ansicht nach etwas an den Grundzügen der Europapolitik geändert werden. Europa, also die Europäische Union, muß mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden zu Lasten der einzelnen Länder Europas. Re-Nationalisierungen fürchten sie und kritisieren deshalb auch das Bundesverfassungsgericht wegen seines Urteils zum Lissabon-Vertrag. Dies sei zum Schaden Europas. Sie setzen dagegen auf die politische Union, die in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Energie- und Rohstoffpolitik sowie Außen- und Verteidigungspolitik an die Stelle der Nationalstaaten treten müsse.

Dabei könnte nach Ansicht der Autoren die Währungsunion, also die 16 Euro-Staaten, die Führung übernehmen, insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) unter Jean-Claude Trichet und der Euro-Finanzministerrat mit dem Luxemburger Jean-Claude Juncker an der Spitze, denen die Regierungs-chefs der Mitgliedsstaaten, also vor allem die Bundeskanzlerin Merkel, mehr die öffentliche Bühne hätten überlassen müssen. Das haben sie inzwischen getan. Die EZB darf jetzt sogar Ramsch-Anleihen von Euro-Staaten aufkaufen und die wundersame Geldvermehrung der Finanzminister beim Schutzschirm für den Euro unterstützen. Clement und Merz werden uns in ihrem nächsten Buch mitteilen, ob sie immer noch der Meinung sind, die EZB habe ihre Aufgabe bis heute glänzend gelöst.

Das Beispiel zeigt das grundlegende Dilemma der beiden Autoren: Sie sind zu lange Teil des anationalen, wenn nicht gar antinationalen politischen Establishments der Bundesrepublik gewesen, um erkennen zu können, daß das, was sie in ihrem europäischen Idealismus gut gemeint haben, leider das Gegenteil von gut war. Jetzt möchten sie das Europa der 27 EU-Staaten machtpolitisch auf die 16 oder mehr Euro-Staaten zurückstutzen. Die müßten dann den Sanktionsmechanismus des Maastricht-Vertrages und des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der nicht ausreicht, um die vereinbarten Defizit- und Verschuldungsraten einzuhalten, grundlegend überarbeiten, einschließlich der Möglichkeit Austritt oder Ausschluß aus der Währungsunion. Dazu sind jedoch die Euro-Staaten schon nicht mehr in der Lage. Clement und Merz ahnen das. Dennoch hoffen sie auf ein Wunder an der Europafront, anstatt durch eine begrenzte Re-Nationalisierung mit geregeltem Staatsbankrott, Umschuldung und der Abwertung von Nationalwährungen die Konsolidierung der Wirtschaft und einen Neuanfang zu ermöglichen.

Auf den restlichen Seiten des Büchleins wird fast alles angesprochen, was einem so zu den Verhältnissen in Deutschland einfällt: die Zusammenlegung von Bundesländern (aus sechzehn mach acht), natürlich Bürokratie-Abbau, die Krise der Volksparteien (Merz fürchtet noch immer, daß sich rechts von der CDU eine neue Partei etablieren könnte), die sozialen Sicherungssysteme, die Bildungsmisere, die Lage von Wissenschaft und Forschung, Klimawandel und Energiepolitik (Kernkraft wäre schon gut, aber wer erklärt das den Leuten?). Überhaupt wäre mehr Führung und politische Führungskultur nötig. Manche Menschen haben das als Kritik an Angela Merkel verstanden nach Ansicht des Rezensenten zu Unrecht. Clement und Merz wollten nur sagen, daß alles besser werden muß, soll es uns weiterhin gut gehen. Danke.

Wolfgang Clement, Friedrich Merz: Was jetzt zu tun ist. Deutschland 2.0. Herausgegeben von Ursula Weidenfeld, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2010, 199 Seiten, gebunden, 18,95 Euro

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