© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Kolumne
Verfehlte Inquisition
Wolfgang Ockenfels

Auf dem Höhepunkt der Mißbrauchsdebatte brachte die Welt ein Plädoyer für die Wiedereinführung der Inquisition. Wie schön für die Dominikaner, daß man sich wieder an den Rechtsfortschritt erinnert, den die Inquisition seit dem 13. Jahrhundert für den Rechtsprozeß in Europa bedeutete: protokollierte Zeugenaussagen, Möglichkeit der Selbstverteidigung, objektivierte Wahrheitsfindung.

Als Großinquisitoren eignen sich heute allerdings weder Journalisten noch Kirchenleute. Sie erfüllen nicht die Kriterien, die schon seit dem Mittelalter gelten und zum festen Bestandteil unseres Rechtsstaats gehören, so vor allem die Unschuldsvermutung, die den Angeklagten so lange für unschuldig hält, bis ihm die Schuld nachgewiesen wird. Für manche Journalisten, die als verkrachte Theologen mit der katholischen Kirche noch ein Hühnchen zu rupfen haben, gilt diese Regel offenbar nicht.

In diesen Fällen sprechen Journalisten nicht gern von „mutmaßlichen“ oder „angeblichen“ Missetätern, sondern für sie steht das Urteil schon apriori fest: Sie sind laut Anklage schuldig. Wer das tatsächliche oder vermeintliche Opfer war, bleibt meist im dunkeln, oder hat sich, wie im Falle des Augsburger Bischofs Walter Mixa, mit einem strikten Dementi gemeldet. Es gibt zwar kein Opfer, aber jedenfalls einen Täter.

Ebenfalls anonym blieben die Denunzianten in der Bistumsleitung. Mixa ist gefallen, weil er ohnehin nicht gefiel. Darum mußte man bei ihm auf uralte Verdachtsmomente zurückgreifen, die sich auf Vorwürfe wegen Prügel und finanzieller Ungereimtheiten beziehen. Nach diesen Schuldkriterien sollte man einen Großteil der älteren Generation unverzüglich an die Luft setzen, einschließlich des Kirchenpersonals.

Leider erfüllen weder die meisten kirchlichen Vertreter noch die säkularen medialen Sittenrichter die Voraussetzungen, die für ein geordnetes Inquisitionsverfahren notwendig wären. Es fehlt schon an einem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden, einem Sinn für Fairneß. Deshalb sind einige klerikale Instanzen geneigt, jeden Verdachtsfall sofort und ungeprüft an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Erst dann erfahren sie, daß unbewiesene Behauptungen sehr oft auf Ehrabschneidung und Rufmord hinauslaufen, die ebenfalls strafbar sind. Man sollte sich besser auf die weltliche als auf die kirchliche und journalistische Justiz verlassen. Ein Hoch auf den Rechtsstaat!

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier.

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