© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Auf dem Weg zur Berufsarmee
Bundeswehr: Nach der Sparklausur der Bundesregierung steht die Armee vor tiefen Einschnitten – und die Wehrpflicht auf der Kippe
Hans Brandlberger

Die Sparklausur der Bundesregierung (siehe auch Seite 5) hat der Bundeswehr die Ankündigung einer „großangelegten Reform“ beschert. Neben Einsparungen ist eine Reduzierung der Mannschaftsstärke um 40.000 Soldaten im Gespräch – und damit auch die Aussetzung der Wehrpflicht. Für die Armee ist das nichts Neues: Fast jeder Verteidigungsminister versuchte sich auf seine Weise an neuen Weichenstellungen, manchen ist eine solche sogar gelungen. Insofern ist das, was sich Amtsinhaber Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vorgenommen hat, weder außergewöhnlich noch überraschend. Dennoch dürfte die Bundeswehr einen Einschnitt erleben, der jenem nach der Wiedervereinigung vergleichbar wäre.

Im Kalten Kriege hatte die Bundeswehr einen klar umrissenen und nachvollziehbaren Auftrag. Sie sollte im Zusammenwirken mit den Verbündeten in der Lage sein, einem Angriff des Ostens entgegenzutreten und den Gegner abzuschrecken. Die Wehrpflicht war dazu unabdingbar.

Diese Geschäftsgrundlage ist nach 1989/90 entfallen. Dennoch wurde an der Wehrpflicht festgehalten. Nur eine Minderheit der jungen Männer, knapp 15 Prozent eines Geburtsjahrgangs, leistet sie heute ab, bezieht man die Altersgenossen ohne deutschen Paß in die Betrachtung ein, ist die Quote noch geringer. Da es keine Mühe bereitet, sich der Wehrpflicht zu entziehen, ist die Bundeswehr de facto schon seit langem eine Freiwilligenarmee.

Nicht zuletzt im Zuge der Ausrichtung auf Auslandseinsätze wie in Afghanistan ist auch die technische Ausstattung komplexer und die taktischen Anforderungen an die Soldaten anspruchsvoller geworden. Grundwehrdienstleistende könnten hier auch dann keine Rolle spielen, wenn es denn die politische Maxime nicht gäbe, von ihrer Kommandierung in den Auslandseinsatz abzusehen. Bereits eine neunmonatige Wehrdienstdauer ist zu kurz, um Rekruten gründlich auszubilden und sie dann vor ihrem Ausscheiden mit einer ernstzunehmenden Aufgabe zu betrauen. Mit der Reduzierung der Dienstzeit auf sechs Monate kann tatsächlich nur noch von einem „Militärpraktikum“ (Süddeutsche Zeitung) gesprochen werden.

Für das heutige Aufgabenspektrum der Bundeswehr sind nur jene Wehrdienstleistenden relevant, die sich über die neun (beziehungsweise sechs) Monate hinaus freiwillig dazu bereit erklären, länger, nämlich bis zu insgesamt 23 Monate, die Uniform zu tragen. Diese Soldaten, Freiwillige zusätzlichen Wehrdienst Leistende (FWDL), die nach der Zielstruktur 2010 25.000 der insgesamt 55.000 Wehrdienstleistenden ausmachen, erhalten eine deutlich höhere Vergütung und werden dafür im Gegenzug in Auslandseinsätze geschickt. Etwa jeder Fünfte der Soldaten im Einsatz ist ein solcher „FWDL“. Auf dieses Personal müßte bei einem Entfallen der Wehrpflicht aber nicht verzichtet werden, sofern man es als das deklariert, was es letztendlich auch ist: Statt von freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden wäre von „Soldaten auf Zeit“ mit einer kurzen und eventuell auch flexiblen Verpflichtungsdauer zu sprechen. Die Befürworter der Wehrpflicht sind seit langem in der Defensive. Ihr Argument, daß es die staatsbürgerliche Pflicht eines jeden sei, zur Sicherheit seines Landes beizutragen, wird zwar nur selten frontal attackiert.

Der Hinweis darauf, daß der Staat nur angesichts einer evidenten Bedrohung einen derartigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des einzelnen (männlichen) Bürgers rechtfertigen kann, beraubt es jedoch seiner Überzeugungskraft. Auch das Reden von einer „gesellschaftlichen Verankerung“ der Bundeswehr dank der Wehrpflicht ist angesichts der Umfangsreduzierungen und Standortauflösungen sowie der  geringen Zahl von Wehrdienstleistenden eher metaphorisch. Die Gewißheit, Ersatzdienstleistende seien im Gesundheitswesen und in sozialen Institutionen unverzichtbar, so daß allein um ihretwillen die Wehrpflicht unangetastet bleiben müßte, hat sich als Zweckoptimismus entpuppt. Offenbar gibt es auch für den Zivildienst Alternativen, und es ist nicht einzusehen, daß die Bundeswehr ihre Struktur unter der Nebenbedingung plant, sein Fortbestehen zu ermöglichen.

Geblieben ist einzig das Argument, daß heute knapp 40 Prozent der neugewonnenen „Soldaten auf Zeit“ unter Grundwehrdienstleistenden rekrutiert werden. Die Personalgewinnung müßte sich folglich umstellen und auch mehr Mittel einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Generell spricht die Erfahrung aller anderen Streitkräfte, die in der jüngeren Vergangenheit die Wehrpflicht ausgesetzt haben, gegen die Erwartung, man könnte durch den Übergang zu einer Freiwilligenarmee Geld einsparen. Die Personalkosten dürften vielmehr eher steigen. Sparzwänge sind nach Ansicht vieler Experten somit kein Argument für eine Aussetzung der Wehrpflicht.

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