© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

An den Symptomen herumgedoktert
Bundesregierung: Das schwarz-gelbe Sparpaket schont die Finanzwirtschaft und bittet den „kleinen Mann“ zur Kasse
Paul Rosen

Wer sparen will, fängt am besten bei sich selber an. Daher überzeugt das „größte Sparpaket in der bundesdeutschen Geschichte“ (so die Leitnachrichtenagentur dpa) mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro bis 2014 nicht. Es fehlen Einsparungen bei Diäten von Abgeordneten, Gehältern von Ministern und bei der üppigen Altersversorgung von Politikern. Der Bundestag ist zu groß, und das Heer von gutbezahlten, aber unterbeschäftigten Parlamentarischen Staatssekretären gehört entlassen. Statt dessen haben Union und FDP bei Wirtschaft, Arbeitslosen und Urlaubern mit ihren Sparplänen angesetzt und dank des Einflusses der Liberalen einen Kotau vor der Finanzbranche gemacht.

Es ist wohl das traurigste Kapitel in dem Einsparprogramm, daß die Finanzwirtschaft, die die jüngste Krise zu großen Teilen mitverursacht hat, bis 2014 mit gerade einmal mit sechs Milliarden Euro an den Folgekosten der Krise beteiligt werden soll. Dabei haben Bund und Länder bereits knapp 100 Milliarden Euro zur Stabilisierung des Bankensektors ausgegeben. Vielleicht wollten Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle auf ihrer Pressekonferenz am Montag keine schriftlichen Unterlagen mitbringen, weil dann auch für den letzten Journalisten klar gewesen wäre, daß das Sparprogramm Politiker und Reiche schont, während der „kleine Mann“ wieder zur Kasse gebeten wird und sogar seinen Arbeitsplatz verlieren könnte. So konnte Merkel mit leicht zynischem Unterton ihr „alternativloses“ Sparprogramm ungestört vortragen und versprechen, fehlende Papiere durch mündliche Beiträge auszugleichen.

Auch wenn Kanzlerin und Außenminister nicht müde wurden, sich für den Verzicht auf Steuererhöhungen zu loben, sollte man wissen, was bei der Streichung von Mitnahmeeffekten bei Energiesteuervergünstigungen passieren wird. Dabei handelt es sich um noch von Rot-Grün eingeführte Ausnahmen von der Ökosteuer. Selbst Schröder und Trittin war damals klar, daß einige Teile der deutschen Industrie besonders in der Aluminium- und Metallverarbeitung komplett dichtmachen würden, wenn die Ökosteuer sie mit voller Wucht träfe.

Gemäß der alten Weisheit, daß eine CDU-Regierung Sozialismus minus 20 Prozent plus einige Jahre später bedeutet, holt Merkel jetzt nach, was Schröder und Trittin sich nicht trauten. 5,5 Milliarden Euro soll die Industrie zahlen, was das Aus für energieintensive Branchen bedeutet. Die Arbeitsplätze werden abwandern. Dagegen dürften sich die Atomkonzerne mit dem steuerlichen Ausgleich der Kernenergiewirtschaft in Höhe von 9,2 Milliarden Euro nicht schwertun. Ihre Kassen sind randvoll, notfalls werden die Strompreise erhöht. Was an einer Besteuerung der Kernenergie allerdings ökologisch sein soll, wie es im Sparkonzept steht, konnte die Koalition nicht erklären.

Aus ökologischen Gründen wird auch eine Luftverkehrsabgabe eingeführt. Während Spesenritter darüber lachen, dürfte Familien der Urlaubsflug nach Mallorca in Zukunft erheblich teurer zu stehen kommen. Immerhin vier Milliarden Euro sollen bis 2014 auf diese Weise in die Staatskasse geholt werden. Hier winkt auch ein großes Erhöhungspotential. Die Zwangsdividende von jährlich 500 Millionen Euro, die die Bahn an den Bund künftig abzuführen hat, wird auf Kosten der Sicherheit, Pünktlichkeit und des Komforts gehen. Zwangsdividenden haben noch nie funktioniert. Die durch komplette Verkehrsausfälle geschädigten Kunden der Berliner S-Bahn, die Millionen an die Deutsche Bahn abführen mußte, können dies bestätigen.

Die Neujustierung von Sozialgesetzen ist vom Grundsatz her goldrichtig. Es ist ein offenes Geheimnis, daß in Deutschland jedermann auch ohne Arbeit gut leben kann. Zu lange waren Politiker aller Parteien der Auffassung, daß die Qualität des Sozialstaates mit der Höhe der Sozialausgaben steigt. Statt nach amerikanischem Vorbild zeitliche Begrenzungen für den Bezug von Sozialhilfe und Hartz IV einzuführen und zugleich niedrig entlohnte Beschäftigung bei Staat, Post und Bahn auszuweiten, laborieren Union und FDP an Symptomen herum.

Ein Beispiel: Man streicht den Beitragszuschuß für Hartz-IV-Empfänger zur Rentenversicherung und spart bis 2014 angeblich 7,2 Milliarden Euro. Die Einsparung ist ein Trugschluß, da das Geld bekanntlich nicht auf die hohe Kante gelegt wird, bis der Hartz IV-Empfänger es als Rente wieder abholt. Statt dessen gehen die Milliarden sofort an heutige Rentner. Folge: Bis 2014 fehlen in den Rentenkassen allein durch diese Maßnahme 7,2 Milliarden Euro. So schaffen sich Politiker durch ihre Fehler von heute Arbeit für morgen. Und warum erhalten nur Hartz-IV-Empfänger kein Elterngeld mehr? Man kann über die Nützlichkeit solcher Transferzahlungen streiten. Aber in einem demokratischen Staat sollte ein Grundsatz beherzigt werden: entweder für alle oder für keinen.

Bei den „Effizienzverbesserungen bei der Arbeitsmarktvermittlung bei SGB II”, die 4,5 Milliarden bis 2014 bringen sollen, war der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Arbeitsvermittlung ist ein Moloch mit eigener Bildungs- und Qualifizierungsindustrie. Allein ihre Auflösung und Regionalisierung (allerdings mit deutschlandweitem Finanzausgleich) würde zu Einsparungen führen. Und man sollte nicht glauben, die Verringerung der Truppenstärke bei der Bundeswehr  habe mit dem Arbeitsmarkt nichts zu tun: Die 40.000 Zeit- und Berufssoldaten, auf die Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg meint verzichten zu können, sind die Arbeitslosen von morgen.

Foto: Deutschland muß sparen: Zynischer Unterton der Kanzlerin

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