© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Präsidentschaftskandidat der Herzen
Köhler-Nachfolge: Mit der Nominierung von Joachin Gauck hat Rot-Grün in den Reihen von Union und FDP reichlich Verwirrung gestiftet
Michael Paulwitz

Wenn die Bürger das Sagen hätten, wäre der Ausgang der Bundespräsidentenwahl am 30. Juni jetzt schon klar: Joachim Gauck würde der Nachfolger  Horst Köhlers als Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Der medial versierte frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen ist sichtlich angetan von der Woge der Zustimmung, die seine als grün-roter Coup gegen Angela Merkels angeschlagene schwarz-gelbe Koalition eingefädelte Kandidatur für das höchste Staatsamt aus allen Bevölkerungsschichten und über die Parteigrenzen hinweg begleitet (siehe auch Seiten 6 und 7).

 Grünen und SPD ist mit der Nominierung Gaucks ein geschickter Schachzug gelungen. Zum einen haben sie Verwirrung im gegnerischen Lager gestiftet und die CDU-Vorsitzende und FDP-Chef Westerwelle in die Defensive gebracht: Gauck ist ein Kandidat, den auch in der Union viele am liebsten selbst nominiert hätten; der von Merkel aus dem Parteipräsidium gedrängte brandenburgische CDU-Chef Jörg Schönbohm fragte offen, warum Merkel nicht selbst auf diese Idee gekommen sei. Ebenso äußerte sich der schleswig-holsteinische FDP-Vorsitzende Kubicki. Die FDP-Landesfürsten von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zeigten sich verärgert über den Alleingang Westerwelles, der Merkel faktisch einen „Blankoscheck“ für die Benennung eines CDU-Kandidaten ausgestellt hatte, und drohten offen, es gebe keinen Automatismus für die Wahl Wulffs. Die eigene Parteiführung müsse schon darlegen, welche Gegenleistung die FDP, die mit dem Durchfallen der Röslerschen Gesundheitsprämie zeitgleich eine weitere Niederlage in der Koalition erlitten hatte, für ihre Zustimmung erhalten werde. Da könnte sich für die Unzufriedenen „ein Ventil auftun“, warnte auch der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke; trotz der schwarz-gelben 21-Stimmen-Mehrheit in der Bundesversammlung könne es für Wulff eng werden.

Gleichzeitig hat der rot-grüne Coup die Linkspartei in Bedrängnis gebracht. Als rot-rot-grüner Kandidat ist der „gegen das Vergessen“ engagierte Gauck für linke Stasi- und DDR-Nostalgiker kaum verdaulich. SPD und Grüne hätten wohl „mehr Zeit darauf verwandt, einen Kandidaten zu finden, dem Die Linke nicht zustimmen kann“, nörgelte die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch.

Ironischerweise hat ausgerechnet der westdeutsche Ex-Kommunist Jürgen Trittin den „Kommunistenfresser“ Gauck ins Spiel gebracht – SPD-Chef Gabriel hatte den Ex-Bundesvorsitzenden und rot-rot regierenden brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck im Blick gehabt. Trittin spielte bereits beim Abgang Köhlers eine Schlüsselrolle, als er ihn in der Auseinandersetzung um sein Afghanistan-Interview mit Lübke-Vergleichen und dem Vorwurf der „Kanonenboot-Politik“ waidwund geschossen hatte.

Mahnreden sind nicht zu erwarten

Der unwürdige Abgang Köhlers war eine persönliche Niederlage für Merkel, die ihn vor sechs Jahren im Alleingang mit Westerwelle zum Präsidenten gemacht hatte, obwohl der „gutmütige und schlichte Finanzbeamte“ (FAS) von Anfang an von diesem hohen Amt überfordert war. Angesichts der heraufziehenden Staatskrise hat er es wie ein beleidigter Vereinsvorsitzender mit einem Vorwand weggeworfen, der ihn im Urteil der Öffentlichkeit als „Mimose“ dastehen läßt.

Gaucks Kandidatur, obwohl – was ihm auch selbst bewußt ist – aus parteitaktischem Kalkül geboren, entlarvt das System Merkel als allein auf die eigene Stellung im Partei- und Machtapparat bezogenes Intrigenspiel. Mit einem Bundespräsidenten Christian Wulff wäre der wichtigste innerparteiliche Konkurrent neutralisiert, der ihr im Falle weiterer Mißerfolge die Kanzlerschaft streitig machen könnte. Offensichtlich stand ihre Entscheidung für den Niedersachsen von Anfang an fest; andere Kandidaten wie Bundestagspräsident Norbert Lammert oder Finanzminister Wolfgang Schäuble wurden nur zur Ablenkung genannt – auch Familienministerin Ursula von der Leyen, die sich einen Tag lang als Favoritin fühlen durfte.

Während führende CSU- und FDP-Politiker von der Leyen noch als gute Lösung priesen, einigte sich Merkel in aller Stille mit Wulff. Nach Medienrecherchen hat sie von der Leyen noch im unklaren gelassen, obwohl Wulff bereits fest zugesagt hatte. Weder der angebliche Widerstand aus den Süd-Landesverbänden noch der Protest aus netzaffinen Kreisen gegen „Zensursula als Bundes-Uschi“ sprach in den Augen Merkels gegen eine Bundespräsidentin von der Leyen, sondern offenkundig die Erwägung, welche Lücke im Personaltableau am leichtesten zu schließen wäre.

Für die Kanzlerin ist der unauffällige Christian Wulff als Bundespräsident die ideale Lösung. Peinliche Mahnreden hätte sie von ihm kaum zu erwarten. Ein unabhängiger Kandidat, der in Krisenzeiten das von ihr gelassene geistige Führungsvakuum ausfüllen könnte, kam für Merkel von Anfang an nicht in Frage; schon deshalb konnte sie das kluge Angebot des SPD-Vorsitzenden, Gauck noch als gemeinsamen Kandidaten zu benennen, nicht annehmen.

Geht das Kalkül von SPD und Grünen auf, Stimmen für Gauck aus dem schwarz-gelben Lager herauszubrechen, droht Kanzlerin und Koalition ein politischer Totalschaden. Diese Aussicht dürfte die schwarz-gelben Reihen am Ende doch schließen und den Bundespräsidenten verhindern, der von den Bürgern als der richtige Mann zur rechten Zeit wahrgenommen wird. Die Zeit scheint reif für eine Forderung, die der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf jetzt wieder aufgegriffen hat: die Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk.

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