© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

„Ich werde entweder der größte Lump ...“
„... oder der größte Mann Preußens“: Seit zehn Jahren arbeitet die Otto-von-Bismarck-Stiftung
Patrick Ackermann

Kanzler und Dämon“ untertitelte die ARD jüngst provokant ihre zweiteilige Bismarck-Dokumentation, die schon vor ihrer Ausstrahlung Zweifel an einer objektiven Auseinandersetzung mit der Person Otto von Bismarcks nährte, als es in der redaktionellen Ankündigung der Produktionsfirma hieß: „Wie gelingt es einem ehemaligen Zocker mit Spielschulden, Hang zu Völlerei und Alkohol, zum Gründer des deutschen Reiches zu werden?“

Tatsächlich verfielen die Autoren neben der Wiedergabe geschichtlicher Fakten zugleich den bekannten Stereotypen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Man attestierte Bismarck kurzerhand eine widersprüchliche Persönlichkeit und konstruierte über Hindenburg eine ideologische Linie bis zu Hitler.

Dabei hätte der NDR als federführende Landessendeanstalt seine Mannen noch nicht einmal auf große Reisen schicken müssen, um die Einholung eines ergänzenden wissenschaftlichen Beistands sicherzustellen. Denn quasi vor der Haustür, im beschaulichen Friedrichsruh, einem rund 20 Kilometer östlich von Hamburg gelegenem Ortsteil der 3.200-Seelen-Gemeinde Aumühle, arbeitet seit dem Jahr 2000 die Otto-von-Bismarck-Stiftung. Hierhin hatte der maßgebliche Mitbegründer des Deutschen Kaiserreichs ab 1871 seinen privaten Wohnsitz verlegt, um Abstand von der Hektik und den politischen Querelen der Wilhelmstraße im fernen Berlin zu bekommen. 

Im restaurierten ehemaligen Empfangsgebäude des Bahnhofs befindet sich der repräsentative Sitz der Bundesstiftung, deren Zielsetzung der Gesetzentwurf von 1996 formuliert: „Zweck der Stiftung ist es, das Andenken an das Wirken des Staatsmannes Otto von Bismarck zu wahren, seinen Nachlaß zu sammeln und zu verwalten sowie für die Interessen der Allgemeinheit in Kultur und Wissenschaft, Bildung und Politik auszuwerten.“  

In dem gediegen wirkenden, cremefarbenen Stuckbau aus dem 19. Jahrhundert befindet sich neben einer umfangreichen Bibliothek eine Dauerausstellung, welche sich Bismarck und seinem Jahrhundert widmet. In sechs Räumen nähert sich der Besucher einem prägenden deutschen Staatsmann und seiner Epoche über Informationen und visuelle Eindrücke: von Kindheit, Jugend und Werdegang des „Urpreußen“ über Nationalbewegung und Bruderkrieg bis hin zu Industrialisierung, Reichsgründung und Kulturkampf. Im angegliederten Archiv wird zudem der schriftliche Nachlaß Otto von Bismarcks und seiner Nachfahren dokumentiert, darunter auch handschriftliche Korrespondenz des Reichskanzlers.

Ein wesentlicher Teil der Stiftungsarbeit mündet zudem in der Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Schriftenreihe, zu deren Verfassern unter anderem auch der Historiker und Vorsitzende des Stiftungs-Beirats, Lothar Gall, zählt, dessen bereits 1980 erschienenes Werk  „Bismarck. Der weiße Revolutionär“  Maßstäbe in der Bismarck-Forschung setzte.

Für eine positive öffentliche Wahrnehmung Bismarcks

Seminare und Vorträge bilden ein weiteres Element des „historisch-politischen Bildungsauftrags“ der Bundesstiftung, zudem werden wissenschaftliche Tagungen organisiert, etwa die im Herbst dieses Jahres in Bochum stattfindende Veranstaltung mit dem Thema „Bismarck und die Wirtschaft“.

Daß in Friedrichsruh seit nunmehr zehn Jahren das Zentrum der Bismarck-Forschung, als das sich die Stiftung selbst sieht, seiner wissenschaftlichen Arbeit nachgehen kann, geht auf Initiativen von Förderern zurück, die sich bereits zu Beginn der achtziger Jahre für eine staatliche Würdigung des politischen Wirkens Otto von Bismarcks einsetzten. Neben Historikern und Politikern warb auch die Familie von Bismarck, deren Vertreter heute neben dem früheren Bundes­innenminister Rudolf Seiters und dem ehemaligen Bundestagsvizepräsidenten Hans-Ulrich Klose zur Besetzung des Kuratorium zählen, für die Einrichtung einer Bundesstiftung. Kanzler Helmut Kohl – von Haus aus selbst Historiker – soll dann 1988 bei einem Besuch in Friedrichsruh seine Unterstützung zugesagt haben, um Zustimmung im Bundestag zu organisieren.

Daß der Name Bismarck heute wie damals zu unterschiedlichen Assoziationen führt, wurde dann auch im Verlauf der folgenden Jahre bis zur Verabschiedung des Stiftungsgesetzes im Jahre 1997 ersichtlich. Für weite Teile der bundesdeutschen Linken war (und ist) Bismarck nicht nur wegen der „Sozialistengesetze“ ein rotes Tuch. In der geplanten kulturpolitischen Würdigung Bismarcks durch das gerade wenige Jahre zuvor wiedervereinte und damit auch territorial gewachsene Nachkriegsdeutschland sah man die „Gefahr“, daß das überwiegend kritisch ausgerichtete Bismarck-Bild der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft durch eine geschichtswissenschaftliche Forschung, welche sich nicht diesen Tendenzen verpflichtet sieht, zu einer positiven öffentlichen Wahrnehmung der Figur Otto von Bismarcks und seines politischen Wirkens beitragen könnte.

In einer im Sommer 1996 von SPD-Abgeordneten initiierten Kleinen Anfrage an die christlich-liberale Koalitionsregierung heißt es dann auch: „Wie verträgt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Errichtung der fünften neuen Bundesstiftung mit dem Namen eines ausgewiesenen Monarchisten und Anti-Demokraten wie Otto von Bismarck mit den anerkannten Zielen und Idealen politischer Bildung?“

Gleichzeitig folgten Versuche, die – wenn auch nur vereinzelt vorhandene – vorsichtige Skepsis im katholischen Teil des Unionslagers zu instrumentalisieren, in dem man dem Bismarckschen Feindbild der Sozialdemokratie als „Reichsfeinde“ zugleich mahnend die „unnachsichtige Verfolgung“ der Anhänger der katholischen Zentrumspartei durch den Fürsten in Erinnerung rief.

In letzter Lesung wurde die Abstimmung dann tatsächlich auf Drängen der SPD von der Tagesordnung genommen, es bestehe ein Neuverhandlungsbedarf. Doch mehr als ein kurzes Hinauszögern vermochten die parlamentarischen Kritiker nicht zu erreichen. Mitte 1997 trat das Stiftungsgesetz in Kraft, die Gelder wurden bewilligt, und noch im gleichen Jahr begannen die Umbauten am zukünftigen Stiftungssitz.  

Bismarck war gut für die Entwicklung Deutschlands

Ob es hingegen tatsächlich gelingt, die öffentliche Wahrnehmung über Otto von Bismarck ideologiefrei zu gestalten, hängt nicht allein von kulturpolitischen Einrichtungen wie jener in Friedrichsruh ab. Wohl aber kann die finanzielle Unabhängigkeit einer staatlichen Stiftung dazu beitragen, eine objektivere und differenzierte Sichtweise zu fördern und die positiven Auswirkungen des politischen Erbes Otto von Bismarcks bis in die Gegenwart zu verdeutlichen.

„Ich werde entweder der größte Lump oder der größte Mann Preußens“, sinnierte der junge Bismarck einst als Student. Wenn in der Erinnerungskultur über Bismarck eines Tages die Überzeugung überwiegt, daß es für die weitere Entwicklung Deutschlands gut war, das ihn das Schicksal zu letzterem hat werden lassen, so würde dies auch zur Förderung des politischen wie gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Deutschen beitragen.

Weitere Informationen: Otto-von-Bismarck-Stiftung, Am Bahnhof 2, 21521 Friedrichsruh, Telefon: 0 41 04 / 97 71-0, E-Post: info@bismarck-stiftung.de, Internet: www.bismarck-stiftung.de

Foto: Otto von Bismarck auf dem Berliner Kongreß 1878, Gemälde von Anton von Werner (1881): Förderung des Selbstverständnisses

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