© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

CD: Jodeln
Nachhall
Sebastian Hennig

Wie eine Anekdote von Johann Peter Hebel klingt der Bericht von jenem Schweizer Hirten, der 1751 in der Pariser Oper auf die Kadenzen der Kastraten mit dem „Kühreihen“ antwortete – sehr zum Erstaunen des Königs und seines Hofstaates. Die älteste bekannte Erwähnung des Begriffs „jodeln“ findet sich 1795 in Emanuel Schikaneders Text zu Mozarts Singspiel „Der Tiroler Wastl“. Die „Nonsberger Märtyrerberichte“ erwähnen bereits 1.400 Jahre davor Jubili pastorales (Jubelrufe der Hirten). Alte Kupferstiche zeigen den Jodler ein Ohr mit dem Zeigefinger verstopfen, um derart den Stimmverlauf besser kontrollieren zu können.

„Jodeln“ läßt sich etymologisch von „johlen“ herleiten, also, wie die Brüder Grimm vermerken, „in naturlauten schreien, lärmen, jauchzen, eigentlich frequentialbildung zu der interj. jo.“ Dieses „Jo“ ist ein altertümliches „Ja“. Jodeln wäre somit laut Grimms Wörterbuch das anhaltende Hervorbrechen eines Bejahungs-Jubelschreis, mit dem der Rufer sich als Teil der Schöpfung bestätigt.

Die heutige, zumal auf Tonträger konservierbare, Jodel kann nur der artifizielle Widerschein und Nachklang dieses archaisch-kunstlosen Geheimnisses sein. Mit einfachen Löcklern und Jüüzli hebt jede der drei landschaftlich bestimmten Abteilungen des Sammeltonträgers „Die Jodelarten der Schweiz“ (ZYT 4615) an. An diesen Stellen vermitteln die Aufnahmen auch ein wenig vom landschaftlichen Resonanzraum, der die Grundbedingungen und Anregung für den Naturjodel darstellt. Auch die Erwiderungen des Hornviehs und den Klang von Schellen und Schwingen lassen sich auf einigen Aufnahmen heraushören. Goethe fand das „beliebte Jodeln nur im Freyen erträglich“.

Vom ethnographisch geprägten Anteil, der auch ein Arbeitslied während des Melkens enthält, wird der Bogen über mehrstimmig komponierte Naturjodel, fast salonfähig anmutende Jodellieder aus der Zeit des romantischen Gesangs vom Beginn des 19. Jahrhundert, Auszüge aus der zweiten Jodel-Messe (1981) von Jost Marty bis zu neu arrangierten Altertümern durch Christine Lauterburg, den nonverbalen „Swiss-Echoes“ der Vetterli Kneubuehl und experimentellem „Crossover“-Jodel der Amerikanerin mit Schweizer Wurzeln Erika Stucky. Ihr „Cowgirl Prayer“ (2007) bestätigt die Eigenart des Jodelns als Friedensruf der Hirten. Wie die Ultraschall-Ortung der Fledermäuse wird der Ruf ausgesandt, um Raum zu messen, ganz im Gegensatz zum Kriegsgeheul etwa der Indianer, das den Raum zersetzt und kopflos machen soll. Wölfisches Geheul hier und Hirtenrufe dort: Heger und Jäger.

Die ältesten Aufnahmen dieser von der Musikethnologin Brigitte Bachmann-Geiser zusammengestellten Kompilation stammen aus den frühen sechziger Jahren, die jüngsten von 2007. Drei Gruppen versammeln 33 kurze Hörbeispiele aus der Zentralschweiz, dem Appenzellerland und Toggenburg  sowie dem Bernbiet.

Die wissenschaftliche und ästhetische Wertschätzung ist ein Zeichen für den Niedergang eines Phänomens. Gesammelt und beschrieben wird immer das, was bereits im Sterben liegt und dadurch überschaubar zu werden beginnt. Das war mit den Rhapsoden wie mit den Volksmärchen, und mit den autochthonen Gesängen der Älpler wird es kaum anders sein.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen