© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Raumschiff über Rom
Zeitgenössische Kunst: Zur Eröffnung des „Maxxi“
Paola Bernardi

Mein Maxxi ist meine Huldigung an Rom, die Stadt des Lichts. Seit ich zehn Jahre alt war, liebe ich Rom. Immer trage ich ein Foto bei mir, das mich als kleines Mädchen am Trevi-Brunnen zeigt“, erklärte strahlend und bewegt die international bekannte britisch-irakische Stararchitektin Zaha Hadid anläßlich der Eröffnung des von ihr geschaffenen Museo nazionale delle Arti XXI Secolo, kurz  „Maxxi“ genannt.

Rom, Pol des abendländischen Geistes, hat ergänzend zur tausendjährigen Tradition immer wieder den Anschluß gesucht. Jüngstes Beispiel dafür ist dieses neue Museum, ein Mammutprojekt , das nach zehnjähriger Bauzeit nun seiner Bestimmung übergeben wurde. Der Aufbruch in die Moderne ist geglückt. Der Museumsbau für 150 Millionen Euro präsentiert sich wie eine gewaltige Skulptur, also keine „dienende“ Architektur, wie die ersten Kritiker anmerken. „Ich wollte ein Haus schaffen, in dem Innen und Außen ein dichtes Gewebe bilden und miteinander kommunizieren“, so die Hadid.

Auf einem drei Hektar großen ehemaligen Kasernengelände nahe der Via Flaminia schwebt wie ein  riesiges futuristisches Raumschiff das „Maxxi“ über diesem etwas heruntergekommenen Viertel, dessen hohe ockerfarbene Mietshäuser sich nun in den Glasflächen des neuen Museums spiegeln. Nicht fern davon erhebt sich Renzo Pianos spektakuläres Auditorium, und in diesem Quartier findet man auch den Palazetto dello Sport, den Pier Luigi Nervi für die Olympischen Spiele 1960 errichtete.

Der Museumsbau der 59jährigen Zaha Hadid ist völlig gegen alle traditionellen musealen Institutionen gerichtet. Alle Regeln wirken wie über Bord geworfen. Es gibt keine lotgerechten Wände, nur wenige gerade Flächen, und die Offenheit der Räume untereinander in diesem futuristischen Bau macht Ausstellungen extrem schwierig. Man geht über breite schwebende Rampen, besteigt metallene Treppen, die sich überkreuzend schneiden und vielspurig nach oben streben. Alles windet und kurvt sich schnittig, daß man mitunter den Eindruck hat, als befände man sich zwischen schickem Parkhaus oder Flughafen-Terminal mit Buchladen, Cafeteria, Auditorium und Konferenzsälen.

Auf Stelzen scheint das erste Stockwerk zu schweben, während in der zweiten Etage eine nach vorn gekippte verglaste Fassade wie eine Raumschiffkanzel über das römische Viertel späht. Besonders in der Nacht, wenn die Kontrollplattform erleuchtet ist, hat man den Eindruck, als wenn Außerirdische angedockt hätten.

Überhaupt muß man in diesem neuen Museum gut zu Fuß sein, wenn man den Parcours durch 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche abgrasen will. Welche Höhen man dabei überwindet, zeigen Glasschlitze im Fußboden. Um in die Tiefe zu schauen, muß man schwindelfrei sein. Als Materialien hat die Architektin rigoros Glas, hellgrauen Sichtbeton und schwarze Metallbrüstungen verwendet.

Am letzten Mai-Wochenende wurde nun das „Maxxi“ vom italienischen Kulturminister Sandro Bondi öffnet. Erstmals konnten Künstler die gewaltige Bühne bespielen. Aus den angesammelten festen Beständen des Hauses wurde die erste Ausstellung „Space“ (Raum) konzipiert, die zugleich auch auf den weiteren Schwerpunkt dieses Museums, nämlich die Architektur hinweist. So findet man neben den bekritzelten Schiefertafeln von Joseph Beuys auch das „Stadtbild“ von Gerhard Richter und den „Sternenfall“ von Anselm Kiefer. Ferner werden Arbeiten von Anish Kapoor, Francesco Vezzoli und William Kentridge präsentiert. In einer zusätzlichen Einzelausstellung werden der italienische Architekt Luigi Moretti und der türkische Videokünstler Kutlug Ataman vorgestellt. 

Den großen Höhepunkt dieser Eröffnung bildet jedoch der 1998 verstorbene italienische  Allroundkünstler Gino de Dominicis. Dieses Multitalent ließ sich zeitlebens nicht klassifizieren; er war sowohl Bildhauer wie Architekt. Vor allem aber war er ein Exzentriker und Provokateur, zudem ein Dandy und Einzelgänger. Zeitlebens weigerte er sich, seine Werke fotografieren zu lassen, geschweige denn Details über sein Leben preiszugeben.

1972, da war de Dominicis gerade 25 Jahre alt, löste er auf der Biennale in Venedig seinen ersten Skandal aus, indem er einen jungen Mann mit Down-Syndrom ausstellte. Sein aufsehenerregendstes Werk schuf er 1990: ein 24 Meter langes Skelett mit langer spitzer Nase mit dem Titel „Calamita Cosmica“ (Kosmisches Magnet), das jetzt vor dem Museumseingang liegt. Mit diesem Skelett wird die neue Ära in Rom eingeläutet – wenn das kein böses Omen ist, unkte ein Kritiker.

Als de Dominicis mit 51 Jahren starb, hatte er zuvor die meisten seiner Werke vernichtet. Schon brandet Streit in der Kunstwelt auf, warum man ausgerechnet diesen singulären Künstler in einem Museum für das 21. Jahrhundert präsentiert.

Internet: www.fondazionemaxxi.it

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