© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Der Zorn des Ministranten
Der Springer-Journalist Alan Posener greift den Papst und seine Kritik am Relativismus der Moderne an / Zivilreligion des Holocaust als Gegenentwurf
Thorsten Hinz

Lohnt es sich überhaupt, ein Buch in die Hand zu nehmen, das bereits im Titel und Untertitel gegen „Benedikts Kreuzzug“ und den „Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ polemisiert? Nur ein einziger, mittelbarer Grund spricht dafür: Sein Autor Alan Posener ist seit mehr als zehn Jahren ein nicht ganz unmaßgeblicher Mitarbeiter der Springer-Zeitungen Welt und Welt am Sonntag, die Tagträumer noch immer für ein konservatives Fähnlein im linksliberalen Meinungsstrom halten.

In dieser Hinsicht wirkt das Buch entlarvend. „Benedikts Projekt eines Rollback der Moderne“ ist eine Halluzination Poseners. Der amtierende Papst ist viel zu klug, um anzunehmen, ein Geschichtsprozeß dieser Dimension ließe sich rückgängig machen. Noch als Chef der Glaubenskongregation hatte er durchblicken lassen, daß er eine künftige Diaspora-Existenz der katholischen Kirche für möglich hält. Ein tiefer Skeptiker der Moderne ist er allerdings.

Posener hätte sich, wenn schon nicht unbefangen, dann doch ohne Schaum vor dem Mund auf seine Voraussetzungen einlassen müssen, um ihn kompetent kritisieren zu können. Statt dessen verzerrt er ein Streitgespräch, das Joseph Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas 2004 höchst respektvoll miteinander führten. Die säkulare Rationalität, so der spätere Papst damals, sei an einen spezifischen kulturellen Kontext gebunden und daher nicht ohne weiteres universalisierbar. Auch zwinge der wissenschaftliche Fortschritt zum Zweifel an der Verläßlichkeit der Vernunft. Er verwies auf die Atombombe und auf die „Menschenzüchtung und -selektion“.

Nun aber Posener! Er fragt inquisitorisch, ob der Papst – Posener nennt ihn stets Ratzinger – etwa „die nationalsozialistische Rassezüchtung“ meine, die zur „Selektionsrampe von Ausschwitz führte“, und ob er „den Unterschied zwischen einer Rationalität des Heilens und einer Rationalität des Mordens relativieren“ wolle. Und schon hat er die bundesdeutsche Dreifaltigkeit beisammen: den Nationalsozialismus, Auschwitz und den Relativierungsvorwurf. Dieses Strickmuster durchzieht das ganze Buch. Von der „instrumentellen Vernunft“ hat Posener wenigstens schon gehört, aber die „Dialektik der Aufklärung“ hat er sowenig erfaßt wie Georg Lukacs’ Kritik an der „tiefliegenden Irrationalität, die hinter den rationalistischen Teilsystemen der bürgerlichen Gesellschaft lauert“.

Einen der schlimmsten Veitstänze vollzog diese irrationale Rationalität unter dem NS-Regime, das bei Bedarf auch das medizinische Vokabular des Heilens benutzte. Von dort aus wird Benedikts Moderne- und Aufklärungsskepsis genauso verständlich wie seine Mahnung, in Auschwitz manifestiere sich die Abwendung des Menschen von Gott und dem Christentum. Dagegen fährt nun Posener allerschwerstes Geschütz auf: „Elie Wiesel sagte schon 1971, jeder nachdenkliche Christ müsse erkennen, daß in Auschwitz nicht das Judentum gestorben sei, sondern das Christentum.“ Also, liebe Katholiken, vergeßt den Papst und die Kirche und unterwerft euch endlich der theologischen Autorität des Elie Wiesel und seiner Ministranten! Posener treibt der Zorn darüber, daß der Papst nicht bereit ist, die Katholische Kirche in eine Unterabteilung der Zivilreligion zu überführen.

Der Sohn des bekannten Berliner Architekturkritikers Julius Posener, geboren 1949 in London, watete in jungen Jahren im Sumpf der kommunistisch-maoistischen Studentengruppen. In den USA hätte ihn das zum Neokonservativen prädestiniert, in der Bundesrepublik macht es ihn wenigstens Springer-kompatibel. Das Buch erschien, noch bevor die Mißbrauchskampagne gegen die Katholische Kirche anrollte. Sie wird aber bezeichnenderweise von Posener vorausgeahnt. Deutsche Vulgär-Touristen, schreibt er, seien ihm „tausendmal lieber als korrekt in der Soutane oder im Turban gekleidete Pädophile, wie sie eine Kultur der Repression zwangsläufig hervorbringt“. Hat er noch nie was von jenen sexuell befreiten Südostasien-Touristen gehört, die auf Sex mit Kindern aus sind? Solche polemischen Spitzen mit klarer politischer Zielrichtung lassen einen über die Hintergründe der aktuellen Anti-Kirchen-Kampagne ins Grübeln kommen.

Alan Posener: Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft. Ullstein Verlag, Berlin 2009, gebunden, 268 Seiten, 18 Euro

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