© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Kolumne
Von wegen Gerechtigkeit
Herbert Ammon

Merkel muß sparen. Wir mündigen Bürgerinnen und Bürgern wissen, warum: für das 750-Millarden-Euro-Rettungsprogramm für Griechenland, für Spanien. Wenn gespart werden soll, muß es gerecht zugehen. Und darum rivalisieren im Parteienstaat alle demokratischen Parteien um die Verwirklichung von Platons Staatsziel. Uneigennützig wie dereinst nur den Philosophen geht es den fünf Parteien um Gerechtigkeit: bei der Verteilung der Lasten und bei der Bildung; um Gender- und um Wehrgerechtigkeit.

Minister Guttenberg hat nun mit seinem Sparvorschlag, die Wehrpflicht abzuschaffen, für Aufregung gesorgt. Die postpazifistischen Grünen fordern dies schon lange. Inzwischen auch die FDP. Die Linkspartei sowieso. Nur noch ein paar wackere SPD-Genossen und ein paar Männer aus Merkels Partei halten aus Sorge um die Demokratie dagegen, aus Bedenken gegen einen abgeschotteten „Staat im Staat“, obwohl die Musterländer USA, Großbritannien und Frankreich das demokratische Wehrprinzip längst beiseite gelegt haben.

Die Frage, ob mit oder ohne Wehrpflicht besser gespart werden kann, überlassen wir den Experten in den Stäben und Ministerien; die Frage, ob der Demokratie mit oder ohne Wehrpflicht besser gedient sei, der Politikwissenschaft. Hier geht es um die Gerechtigkeit. Einst stand im Grundgesetz: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“ (Art. 12a (1)). Gut, jetzt gibt’s statt Grenzschutz die Bundespolizei, wo auch Frauen dienen dürfen. Nach Art. 12a.(4) konnten „im Verteidigungsfalle“ auch Frauen zu zivilen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie durften „auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“. Das fand eine junge Frau, die es zu den Waffen zog, ungerecht, und sie bekam beim Europäischen Gerichtshof recht. Das reichte ihr, sie quittierte umgehend den Dienst. Es ging ums Prinzip: Gender-Gerechtigkeit.

Worüber nie diskutiert wird, ist das Prinzip selbst. Wenn schon die Geschlechtsspezifika eliminiert werden sollen, besteht nicht der geringste Grund, warum junge Frauen nicht zu Wehrdienst oder Zivildienst verpflichtet sein sollen wie junge Männer. Erstens: Das Argument, Frauen bekämen Kinder, gilt immer weniger. Zweitens: Frauen haben von (ungerechter) Natur aus eine höhere Lebenserwartung. Nur: Wer möchte im demokratischen Parteienstreit derlei Gerechtigkeitslücken schon aufdecken?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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