© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

„Die Logik der Dinge drängt zur Transferunion“
Debatte: Mit Äußerungen zur Bildung von Einwanderern hat Thilo Sarrazin seine Kritiker aufgebracht, nun geht er mit der Währungspolitik ins Gericht
Werner Becker

Thilo Sarrazin sorgt für Schlagzeilen. Egal, zu welchem Thema sich der Vorstand der Bundesbank äußert: Immer ist ihm die Aufmerksamkeit gewiß. Das zeigte sich auch in der vergangenen Woche, als der ehemalige Berliner Finanzsenator auf einer Veranstaltung davor warnte, daß das Bildungsniveau in Deutschland durch die Einwanderung sinken werde. Von Grünen-Chefin Claudia Roth bis hin zum Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, hagelte es Kritik.

Nun hat sich Sarrazin die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik vorgeknöpft. In einem Interview mit dem in Düsseldorf erscheinenden Wirtschaftsblatt warnt Sarrazin vor einer Transfer­union und sprach mit Blick auf die Euro-Einführung von einer Reihe von „Rechtsbrüchen“. Die Kritiker dürften auch hier nicht lange auf sich warten lassen.

Dabei hatten ihm schon seine Äußerungen zum Bildungsniveau Ärger mit seinem Chef, Bundesbankpräsident Axel Weber, eingebracht. Kenan Kolat forderte Weber in einem Brief dazu auf, Sarrazin wegen seiner „rassistischen Äußerungen zum Rücktritt zu drängen oder zu entlassen“. 

Hintergrund ist die Einschätzung Sarrazins, daß die Bevölkerung in Deutschland angesichts der  geringen Bildung vieler Zuwanderer „auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer“ werde. Da Intelligenz maßgeblich von Eltern an die Kinder vererbt werde und diese Einwanderergruppen durchschnittlich mehr Nachwuchs bekämen, sei die Entwicklung nach unten absehbar, sagte Sarrazin. In seinem Vortrag kritisierte der ehemalige SPD-Politiker auch das niedrige Niveau deutscher Grundschulen. Viele Kinder lernten nicht mehr richtig schreiben oder rechnen. 

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte Sarrazins Äußerungen scharf und forderte Konsequenzen. „Ich frage mich, wie lange die Bundesbank einen solchen Brandstifter und Rechtspopulisten noch an ihrer Spitze dulden will. Auch die SPD muß sich fragen lassen, ob und wie lange sie Thilo Sarrazin noch in den eigenen Reihen akzeptiert“, sagte Roth der Leipziger Volkszeitung. „Für die Bundesbank als eine der wichtigsten öffentlichen Institutionen in diesem Land ist ein Führungsmitglied mit dieser Geisteshaltung untragbar.“ Wenn Sarrazin so weitermache wie bisher, nehme auch die „durchschnittliche Verdummung des Bundesbank-Vorstands“ zu, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel dem Tagesspiegel. Er hoffe, „daß der Bundesbank-Präsident Herrn Sarrazin endlich genug zu tun gibt, damit er sich nicht ständig mit Dingen beschäftigt, von denen er offensichtlich keine Ahnung hat“.

Schwerer werden es Sarrazins Kritiker damit haben, dessen Äußerungen zur Euro-Krise vom Tisch zu wischen, denn niemand stellt die Kompetenz des früheren Berliner Finanzsenators auf diesem Gebiet in Frage. Sarrazin äußerte sich im Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt „bestürzt“ über die Entwicklungen in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik der vergangenen Monate. 

 „Hätten Sie mich Anfang Februar interviewt, hätte ich die klare Prognose gegeben, daß die Bundesregierung niemals das Bailout-Prinzip in Frage stellen würde.“ Nun dränge die „Logik der Dinge“ in Richtung Transferunion. „Wir etablieren Methoden, die mit weiteren Zahlungsströmen dafür sorgen sollen, daß Portugiesen, Spanier und Griechen im System bleiben können.“ An dieser Entwicklung sei Deutschland nicht ganz unschuldig. Die deutsche Verhandlungsposition sei unrettbar geschwächt gewesen, weil schon vor zwei Jahren der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) angedeutet habe, daß Deutschland im Notfall Griechenland Hilfe anbieten müsse.

Doch die Ursachen für die Krise liegen nach Ansicht Sarrazins tiefer: „Der Weg der europäischen Währungsunion ist von einer Kette von Rechtsbrüchen begleitet, über die sich keiner so richtig aufzuregen scheint“, kritisiert er gegenüber dem Wirtschaftsblatt. Der erste Rechtsbruch sei die Aufnahme Griechenlands gewesen, der nächste die Aushöhlung der Stabilitätskriterien im Jahr 2003. Die Rückkehr zur D-Mark hält Sarrazin dennoch für „völlig irreal“. Technisch sei dies indes möglich, fügte er hinzu.

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