© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Diskriminierungen als Vorwand
Integration: Rotterdams Bürgermeister Ahmed Aboutaleb stammt aus Marokko und wehrt sich dagegen, daß Einwanderer in eine Opferrolle gedrängt werden
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Islamisierung Europas beruht vor allem auf einem geschickten Zusammenspiel: Zum einen machen Lobbyisten meist sozialdemokratischer Provenienz die Muslime in Europa als Kunden diverser sozialstaatlicher Programme aus, die sie dementsprechend in die Opferrolle drängen. Zum anderen entsenden muslimische Funktionäre Lobbyisten in Parteien, die Kritik am Islam als „Islamophobie“ und „Rassismus“ der Gesellschaft verunglimpfen.

Diese Symbiose, die Integrationsprobleme verschärft, statt sie zu bekämpfen, bekommt spätestens dann Risse, wenn jemand auftritt, der alle obigen Kriterien erfüllt und doch nichts mehr verabscheut, als sich in die Opferrolle drängen zu lassen: einer wie Ahmed Aboutaleb, seit zwei Jahren Bürgermeister von Rotterdam. Zwar wäre der niederländische Sozialdemokrat und gläubige Moslem für eine derartige Funktion prädestiniert, doch will er nichts davon wissen.

Deutlich wurde dies in der vergangenen Woche, als Aboutaleb seine Sicht im Berliner Problemstadtteil Neukölln-Nord vortrug. Das Grundübel sah der Politiker in einem betreuenden Sozialstaat, der die individuellen Fähigkeiten lähmt. Es könne nicht sein, daß ein Mensch unter großen Entbehrungen nach Europa gelange und hier auf einmal als Opfer wahrgenommen werde. Denn kaum ein Europäer hätte den umgekehrten Weg überlebt. „Es ist diese Überlebenskraft, um die es mir geht“, bekräftigte er.

Einwanderer müssen hart arbeiten, um in der europäischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. „Es ist einfach, sich hinter Diskriminierung zu verstecken“, warf der 1961 in Marokko geborene Aboutaleb seinen Landsleuten vor. Doch durch die Opferrolle habe noch nie jemand seine Lage verbessert. „Wir müssen Fragen an unsere Sozialsysteme stellen“, sagte der Sozialdemokrat und kritisierte das verfassungsmäßig verankerte Recht auf Sozialhilfe für alle Bewohner der Niederlande.

Mit Bewunderung blickt Aboutaleb auf den Schmelztiegel New York. Einwanderer müssen hier von ganz unten anfangen, das sei normal. Aber nach ein paar Wochen als Taxifahrer sei man schon „New Yorker“ und nicht mehr Afghane oder Marokkaner. Entsprechend kritisch fällt sein Blick auf Deutschland aus: „Wie kann es sein, daß ein Kind, daß von türkischen Eltern in Berlin geboren wird, sich als ‘Türke’ betrachtet? Es muß sich als ‘Berliner’ betrachten.“

Sind Islam und Demokratie ein Widerspruch? Aboutaleb verneint dies für sich. „Den Koran und die niederländische Verfassung kann man beide auf mein Kopfkissen legen.“ Doch er gibt zu, daß ihm viele Moslems im persönlichen Gespräch gesagt haben, sie werden sich nicht an Wahlen beteiligen, da es keine Partei gebe, die Gesetze gemäß dem islamischen Glauben vertritt. Nun, auch diese hätten eine Wahl, sagte Aboutaleb. „Man kann auch wählen, nicht zu uns zu gehören.“

Wenig Verständnis hat Aboutaleb für diejenigen, die Anmaßungen eines radikalen Islam verharmlosen. „Angst bagatellisieren ist das Schlechteste, was wir tun können.“ Wer die Freiheitsrechte mißachtet und „anderen seinen Willen aufzwingen möchte“, gegen den müsse „mit Feuer und Schwert“ vorgegangen werden. „Ich diskutiere mit niemandem über Gesetzgebung“, betonte Aboutaleb.

Für „Extremisten“ – Aboutaleb möchte radikale Moslems nicht als Glaubensbrüder betrachten – sei in den Niederlanden kein Platz. „Man muß hart sein, wo es notwendig ist, wo es Fehler gibt.“ Wer sich offen gegen die niederländische Verfassung stellt, den solle man zur „Persona non grata“ erklären und ihm „die Staatsbürgerschaft entziehen“. Und Aboutaleb fügte hinzu: „Vielleicht helfen wir ihnen dabei, das Ticket zu besorgen?“

Manche Zeitungen hatten den Islamkritiker Geert Wilders zum „gefährlichsten Mann“ der Niederlande erklärt. Aber vielleicht irren sie sich. Nur allzu leicht kann dieser doch als nützliche Projektionsfläche in das Spiel zwischen etablierten Parteipolitikern und Islam-Funktionären mit einbezogen werden. Doch wie geht man mit jemandem wie Aboutaleb um, der nichts anderes macht, als da zu sein und den eigenen gesunden Menschenverstand zu benutzen? Sein Gott, so möchte man ihm zurufen, möge ihn beschützen.

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