© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Der Favorit muß in die zweite Runde
Präsidentenwahl in Polen: Regierungskandidat Komorowski verliert an Zustimmung / Kaczynski rückt in die Mitte / Postkommunist Napieralski ohne Chance
Andrzej Madela

Bei der polnischen Präsidentenwahl gilt das amtierende Staatsoberhaupt, Parlamentspräsident Bronisław Komorowski, als ausgemachter Favorit, mittlerweile aber nicht mehr als ausgemachter Sieger. Laut einer Umfrage vom 11. Juni liegt der 58jährige Kandidat der regierenden wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO) bei 42 Prozent. Sein Widersacher, Ex-Premier Jarosław Kaczyński von der sozialkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), kommt auf knapp 30 Prozent. Der postkommunistische Bewerber Grzegorz Napieralski (SLD) belegt mit elf Prozent den dritten Rang. Die übrigen sechs Mitbewerber – unter ihnen das politische Enfant terrible Andrzej Lepper (Samoobrona) und der frühere Sejmmarschall Marek Jurek (Ex-PiS) – liegen chancenlos zurück.

Noch Ende Mai schien ein Komorowski-Sieg im ersten Wahlgang am 20. Juni möglich, doch der Favorit verliert stetig an Zustimmung, während der Zwillingsbruder des am 10. April tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczyński (JF 17/10) langsam, aber deutlich zulegt. Die zweite Wahlrunde wird auch deshalb stattfinden, weil mit dem 36jährigen Napieralski dem Favoriten plötzlich ein Gegner erwachsen ist, der ihm in der Grauzone zwischen linkem PO-Flügel und parteipolitisch ungebundenem, aber grundsätzlich linksliberal-urbanem Wählerpotential Stimmen abjagt.

Daß Komorowski diese städtische Schicht nicht mehr uneingeschränkt abdeckt, liegt an seinem zentristischen Image, das sein Wahlstab in den letzten Wochen nach Kräften in die Medien hineingepumpt hat. Dieses ist mit Blick auf die ländlich-kleinstädtische Wahlklientel (bis dato die Hochburg von Kaczyńskis PiS) und ihre Wert- und Lebensvorstellungen angelegt worden.

Daher präsentiert sich der amtierende Staatspräsident als gläubiger Katholik und Oberhaupt einer kinderreichen Familie, als Anhänger eines kultiviert-ländlichen Lebensstils und passionierter Jäger, als nationalbewußter Europäer und über dem Parteienstreit stehender Staatsmann. Es wird das Bild eines weitsichtigen, das politische Handwerk beherrschenden Patriarchen gezeichnet, der die Zukunft schon noch meistern werde. Doch die politische Rhetorik ist Komorowskis Schwachpunkt. Mit seinen Fehltritten der letzten Wochen (insbesondere anläßlich des katastrophalen Hochwassers) ließ er selbst das Bild eines schlecht vorbereiteten Wahlkämpfers entstehen.

Die Bilanz der dreijährigen PO-Regierung spricht dafür deutlich zu seinen Gunsten. In Polen floriert die Wirtschaft trotz der Krise, die Auftragsbücher der Bau-, Metall- und Maschinenbranche sind voll. Der Złoty ist seit Jahren stabil, 2009 konnte er gegenüber dem Euro sogar 15 Prozent an Wert gewinnen.

Der Wahlkampf geht daher nicht um ein sozial und wirtschaftlich jeweils anderes Polen, sondern um das Fundament, auf dem dieses Land stehen soll. Ginge es nach Kaczyński, so wären dies die Werte der national-christlichen Tradition, denen man die rationalistisch-zivilrechtliche Linie Europas behutsam anpassen müsse. Dafür hat aber seine PiS keine Mehrheit mehr, seitdem die Ex-Koalitionspartner Samoobrona und Liga Polnischer Familien (LRP) 2007 vom Wähler in die außerparlamentarische Bedeutungslosigkeit geschickt wurden (JF 44/07).

Kaczyński muß das Projekt der „Vierten Republik“ hinter sich lassen, das Profil seiner PiS zu einem rechtsliberalen umarbeiten und sich aus der Umklammerung durch Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk und dessen „Radio Maryja“ lösen (JF 18/06). Dieser Weg ist für Kaczyński wesentlich schwerer als für Komorowski. Die Folge ist eine seltsame mediale Unschärfe, die sein Image kennzeichnet. Antieuropäische, national-katholische Akzente, die noch 2005 den Wahlkampf seines Bruders ausmachten, erscheinen bis zur Unkenntlichkeit abgemildert, in den Vordergrund treten hingegen Botschaften mit überparteilich-staatsbürgerlicher Ausrichtung, deren unbestrittene Richtigkeit arg in die Nähe von Gemeinplätzen gerät.

So offenbart Kaczyńskis Wahlkampf das Dilemma der PiS: Sie darf sich nicht mit ihrem alten Programm präsentieren, weil sie sonst auf ihre etwa 25 Prozent Stammwähler zurückfällt. Und sie darf sich keinen allzu großen Spagat zwischen Programm und Wirklichkeit leisten, weil sie sonst ihre treuesten Anhänger verprellt.

Die Präsidentenwahl gerät so zu einer Großveranstaltung für Selbstverleugnung: Im Interesse des Wahlsieges legt sich der Vertreter einer modernen, europafreundlichen Partei das Image des Traditionalisten an, während sein auf Nation und Tradition verpflichteter Konkurrent den modernen, europabewußten Staatsbürger in sich entdeckt. Treu bleibt sich Napieralski, dessen elf Prozent Stand und Niedergang des postkommunistischen Wählermilieus markieren.

Die Wahl ist jedoch speziell im Falle der PiS eine Verschleißveranstaltung. Deren Personaldecke ist bei weitem nicht so groß wie die der Konkurrenz, und der autoritär geführte Laden namens PiS läßt auch nicht zuviel Raum für das Heranwachsen einer zweiten und dritten Generation, die einmal die Amtsgeschäfte des Parteipatriarchen und PiS-Gründervaters Kaczyński übernehmen. Als unbestrittenem Parteiführer gebührt ihm überall der erste Zugriff – so auch bei der Präsidentenwahl, obwohl ausgerechnet dieses Amt in Polen keineswegs das einflußreichste in der Exekutive ist.

Das weiß auch Premier Donald Tusk – und deswegen ließ er einen PO-Parteifreund antreten, der gerade im Begriff war, etwas mehr Bedeutung als üblich in der PO zu gewinnen. Sollte dieser den zweiten Wahlgang gewinnen – die Umfragen sehen ihn dabei mit 58 Prozent klar vorn –, wäre er als Staatspräsident immer noch auf ein Miteinander mit dem Premier – und seinem Parteichef – angewiesen. Und daß mit diesem nicht gut Kirschen essen ist, sollte Komorowski wohl verinnerlicht haben. Schließlich hat es ihm Tusk am Beispiel von Lech Kaczyński mehrfach vorexerziert.

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