© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Pankraz,
A. Sacharow und der Zwang zum Sparen

Marschalk“ heißt am Kaiserhof in Goethes „Faust II“ der Finanzminster, es ist eine witzige Wortbildung aus „Marschall“ und „Schalksnarr“, die auch auf heutige Finanzminister voll zuträfe. Die ständige Redeweise des Goetheschen Marschalks lautet: „Wir wollen alle Tage sparen / Und brauchen alle Tage mehr“. So reden ja auch Wolfgang Schäuble und in England sein neuer Kollege George Osborne und in den USA Kollege Timothy Geithner. Sie alle sind unheimliche Mischwesen aus Großkommandeur und Großkomiker.

Der unheimlichste (und komischste) ist Schäuble, denn der braucht jeden Tag mehr, nicht um sich und den Seinen das Leben zu erleichtern, sondern um südlichen, leichtlebigeren EU-Partnern die Haushaltslöcher zu stopfen und ihren Bankenkredit zu stabilisieren. Die von ihm verwaltete „Finanzkrise“ ist im Kern ein ungeheurer Finanztransfer von Nord nach Süd. Die Deutschen sollen sparen, damit die Griechen weiter dreizehn Monatsgehälter kriegen und weiter mit Vierzig in Rente gegen können.

Nun ist das Geschrei also groß, über wen in der BRD  der strengste Sparzwang verhängt werden soll. Es überwiegt der Eindruck, daß die Regierung „wieder einmal“ vor allem die Kleinen schröpft, während die Großen glimpflich davonkommen. Ob das stimmt, ist kaum zu entscheiden. Der verstorbene russische Atomphysiker und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, vom Temperament her eher ein Freund der Kleinen, war der Meinung, daß es beim staatlichen Sparen immer die Kleinen treffen müsse, weil nur von den Kleinen die benötigten großen Summen kommen könnten.

Sacharow machte in Dissidentengesprächen, wo man sich oft mit solchen Themen beschäftigte, gern eine knappe Rechnung auf, welche die Zuhörer sehr beeindruckte: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner, darunter höchstens tausend, die im Jahr mehr als zwanzig Millionen Mark verdienen. Wenn nun der Staat jedem einzelnen der 80 Millionen, in welcher Form auch immer, tausend Mark pro Jahr abknöpft, jedem der tausend Reichen aber zehn von seinen zwanzig Millionen, ergibt sich eine wahrhaft erhellende Bilanz.

Von den achtzig Millionen „Kleinen“ nämlich erzielt der Finanzminister 80 Milliarden, von den tausend um die Hälfte ihrer Einnahmen erleichterten Reichen indessen „nur“ zehn Milliarden. Natürlich war das eine Milchmädchenrechnung, Sacharow gab es selbst zu. Doch sie reichte aus, um die in den Dissidentenzirkeln stets anwesenden Idealkommunisten (und Parteispitzel) verstummen zu lassen. Denn was wäre für die Marschalks in Ost oder West herausgekommen, wenn sie den Reichen alles weggenommen und dafür den „Kleinen“ die tausend Mark erlassen hätten? Zwanzig statt achtzig Milliarden –  ein schlechtes Geschäft für den Fiskus.

Apropos Milchmädchenrechnung: Der Verdacht drängt sich schon lange auf, daß das finanzstrategische Niveau der professionellen Marschalks und ihrer Zuarbeiter keineswegs vom Feinsten ist, daß es nicht einmal an das Niveau von Party- oder Dissidentengesprächen heranreicht. Und das liegt nicht nur an den Fähigkeiten bzw. Unfähigkeiten der beteiligten Operateure, sondern nicht zuletzt in der Sache selbst.

Die ganze, zur Zeit so aufdringlich demonstrierte Sparwut ist doch gar kein wirkliches Sparen mehr, wie es die alten Sprichwörter und Morallehren preisen. Man spart nicht mehr, um gegen knappere Zeiten gewappnet zu sein oder sich irgendwann einmal etwas Besonderes leisten zu können, sondern es werden lediglich Schulden beglichen; Schuldendienst jedoch heißt Schulddienst. Man spart nicht aus freiem Willen, sondern weil man „sparen“ muß. Davon zeugt ja schon das Unwort „Sparzwang“.

Wie dichtete einst Wilhelm Busch? „Wer sparsam ist, denkt an das Morgen, / Die Zukunft macht ihm keine Sorgen. // Man kann des Lebens sich erfreun / Und dennoch klug und sparsam sein.“ Dergleichen klingt heute nur noch wie purer Hohn oder wie schlechte Satire. Der moderne Ökonom denkt nicht vom Sparen, sondern vom Schuldenmachen her. „Ohne Schulden keine blühende Wirtschaft“ (Henry Ford).

So wurden systematisch immer neue Schulden angehäuft, ohne daß die alten je zurückgezahlt worden wären. Zins und Zinseszins wurden permanent den Altschulden zugeschlagen, und es akkumulierten sich allmählich derart riesige, jeden Begriff übersteigende Forderungspakete, daß sich die aktuellen  Sparbemühungen dagegen wie eine Maus im Vergleich zum Elefanten ausnehmen.

„Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit“, sagen viele völlig unhysterische, lediglich nachdenkliche Leute. Und die Stunde der Wahrheit, heißt es weiter, sei die Stunde der großen Forderungsvernichtung. Die Gläubiger, auch und gerade die kleinen Sparer, erführen demnächst, daß ihre Außenstände, ihre Einlagen, Renten, Pensionen und Guthaben nur noch reine Fiktion seien. Sie stünden plötzlich mit leeren Händen da wie der letzte kleine Schuldner, ja, im Grunde stünden sie schlechter da als dieser.

Denn im Krieg zwischen Schuldnern und Gläubigern seien die Gläubiger letztlich die Schwächeren, die echt Gelackmeierten. Sie glaubten dummerweise daran, daß sich die Schuldner an die Absprachen hielten, und dafür würden sie nun bald regelrecht enteignet, damit man mit dem Gläubiger/Schuldner-Spiel auch wieder einmal bei Null anfangen könne.

Tatsächlich lehrt jeder Blick auf die Geschichte, daß es in gewissen Abständen immer wieder zu dramatischen Forderungsvernichtungen gekommen ist, sei es durch Kriege und Revolutionen, sei es durch Geldverschlechterung. Stehen wir auch heute vor einem solchen gewaltigen „Crash“? Schützt uns nicht der demokratische Staat davor? Aber der Staat, demokratisch oder nicht, steht grundsätzlich nicht auf der Seite der Gläubiger, denn er ist in der Regel selber der größte Schuldner. Die Marschalks behalten wohl fürs erste das letzte Wort.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen