© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

„Das ist für immer“
Politische Zeichenlehre CI: Lothringerkreuz
Karlheinz Weissmann

Der 18. Juni ist im Bewußtsein der Franzosen bis heute verbunden mit der Erinnerung an diesen Tag im Jahr 1940, als General de Gaulle im englischen Exil die Fortsetzung des Kampfes gegen den deutschen Sieger erklärte. Und viele werden auch das „Lothringerkreuz“ mit diesem Kampf und dann der politischen Bewegung de Gaulles, dem Gaullismus, in Beziehung setzen können.

Als Lothringerkreuz bezeichnet man ein lateinisches Kreuz mit zwei Querarmen, von denen der obere häufig kürzer, der untere länger ist. In der Heraldik des Mittelalters hat man diese Figur nach dem entsprechenden kirchlichen Amtszeichen auch „Patriarchenkreuz“ genannt. Der Name „Lothringerkreuz“ kam zustande, weil das Symbol seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Siegel beziehungsweise Wappen der Herzöge von Lothringen aus dem Haus Anjou auftrat; dorthin war es auf dem Weg von Ungarn über Neapel gelangt, was erklärt, warum das Lothringerkreuz noch heute in den Staatswappen Ungarns und der Slowakei zu finden ist.

Wie es dann zum Symbol der France libre werden konnte, ist dagegen nicht mehr eindeutig zu klären. Ein entsprechender Vorschlag geht wahrscheinlich auf einen Berater de Gaulles, den Militärgeistlichen Thierry d’Argenlieu, oder auf den Admiral Emile Muselier, einen geborenen Lothringer, zurück, der im Juli 1940 die Anweisung gegeben hatte, die von ihm kommandierten Schiffe und Flugzeuge mit einem Lothringerkreuz zu markieren. Allerdings dürfte für diese Entscheidung kaum die regionale Bedeutung des Symbols den Ausschlag gegeben haben, sondern die nationale.

1873, nach der Niederlage Frankreichs gegen Deutschland und der Abtrennung Elsaß-Lothringens, hatte es eine große Wallfahrt zur Notre Dame de Sion im lothringischen Süden gegeben, bei der ein zerbrochenes Lothringerkreuz mit der Aufschrift „Ce n’ est pas pour toujours“ („Das ist nicht für immer“) niedergelegt worden war. Maurice Barrès, der Schriftsteller und einflußreichste Propagandist der Revanche, nannte den Berg, auf dem die Kirche errichtet war, den „heiligen Berg“, ein Symbol, das den Gedanken an den Rachekrieg gegen Deutschland und die Rückeroberung der Ostgebiete wachhalten sollte.

Barrès gehörte auch zu den Unterstützern des an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entfachten nationalkatholischen Kults um Jeanne d’ Arc, die „Jungfrau von Orléans“. Daß Jeanne aus einem Dorf am Rande Lothringens stammte, trug zu der Idee bei, daß das Lothringerkreuz ihr Symbol gewesen sei, und viele Embleme zeigten ihre Gestalt oder ihren Kopf kombiniert mit dem Kreuz. Nach dem Sieg im Ersten Weltkrieg und der „Wiedervereinigung“ kam es am 27. Juni 1920 zu einer weiteren Pilgerreise zur Notre Dame de Sion, wo Barrès die zerbrochenen Teile des Lothringerkreuzes mit einem Band zusammen fügte, auf dem jetzt geschrieben stand: „C’est pour toujours“ („Das ist für immer“).

De Gaulle war als Mitglied einer Familie der politischen Rechten mit diesen Bildern und Ideen aufgewachsen. Er hat von der „Mystik“ des Lothringerkreuzes gesprochen, das die Idee Frankreichs verkörperte – eine Vorstellung, die sicher viele Offiziere in seinem Umkreis teilten, so daß sich vor diesem Hintergrund unschwer die Wahl des Lothringerkreuzes als Gegensymbol zum Hakenkreuz erklären läßt. Ab 1941 war es Hauptmotiv auf allen Propagandaerzeugnissen der „freien Franzosen“ und erschien rot im weißen Mittelfeld der von ihnen verwendeten Trikolore.

Mit dem Erstarken der Résistance im besetzten Frankreich verbreitete es sich vor allem als Sgraffito. Nach der Reorganisation der Partisanen als Forces Françaises de l’Intérieur (Innerfranzösische Streitkräfte) am 1. Februar 1944 wurden deren Kämpfer mit Armbinden in den Farben der Trikolore gekennzeichnet, wobei das weiße Mittelfeld mit einem Lothringerkreuz, teilweise wohl auch mit einem Lothringerkreuz über einem „V“ für Victoire (Sieg) gekennzeichnet war.

Im Zuge der Befreiung Frankreichs erlangte das Lothringerkreuz seine eigentliche Popularität, und nach 1945 zeigten drei der neu gestifteten Auszeichnungen, darunter der Ordre de la Libération, das Lothringerkreuz als Grundform. Nach seiner Rückkehr in das Amt des Präsidenten, 1958, ließ de Gaulle es auf seinem Stander anbringen, und in den scharfen innenpolitischen Kämpfen der sechziger Jahre wurde es zum Emblem des die neue Fünfte Republik tragenden Gaullismus.

 

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Lothringer Kreuz: Emblem des Gaullismus

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