© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Wege in die akademische Käfighaltung
Der Bologna-Prozeß an Deutschlands Universitäten oder die bildungspolitische Machtergreifung der Marktradikalen
Daniel Finke

Aus Sicht des Deutschen Hochschullehrerverbands gab es zehn Jahre nach jenen Beschlüssen, die den „europäischen Hochschulraum“ zu vereinheitlichen versprachen, wenig Grund, die Sektkorken knallen zu lassen. Entsprechend fiel 2009 der Titel seiner „Festschrift“ aus: „Bologna-Schwarzbuch“.

Auch diese Brüsseler „Reform“ ähnelt der Euro-Einführung: Gegen eine satte Mehrheit der Betroffenen durchgedrückt, blieben die vollmundig verheißenen Erfolge gelinde gesagt so überschaubar, daß beide Projekte derzeit nach einer „Reform der Reform“ schreien. Und auf beiden Politikfeldern mehren sich die Stimmen, die den Euro wie „Bologna“ gleichsam als Ausgeburten einer perfiden Verschwörung von Brüsseler Bürokratie und Big Business präsentieren. So klagt der Soziologe Berthold Oelze (Universität Passau), daß die bis 1999 aufgetretenen Probleme in der deutschen Universitätslandschaft durch „geringe Anpassungen des bestehenden Systems“ durchaus hätten gelöst werden können (Soziologie, Heft 2/2010).

Durch die in Bologna verhängte „Europäisierung“ hätten die gegensteuernden Maßnahmen statt dessen eine ungeahnte „Eigendynamik“ entfaltet, die binnen kurzem den „Geist des modernen Managements in die Hochburgen der Wissenschaft“ einziehen ließ – was dann prompt auf die „Abschaffung der Universität in ihrer traditionellen, bürgerlich-liberalen Form“ hinausgelaufen sei. Ihre Leitideen, zweckfreie Bildung und Freiheit des Lernens und Lehrens, habe man zuvor bereits „dekonstruiert“.

2004 kam noch der „Pisa-Schock“ hinzu. Wie die Defizit-Kataloge in Bologna diente diese Auflistung angeblich schwerer Mängel des deutschen Schulsystems „als Vorwand für Maßnahmen, die das traditionelle Bildungssystem tiefgreifend veränderten“. Für Oelze wirkt das so, als habe „man“ auf solche „geeigneten Anlässe“ nur gewartet, um „bildungspolitische Dammbrüche“ und „Wellen von Reformen“ auszulösen. Dabei hätten sich die Reformer der Schul- und Hochschulpolitik wechselseitig radikalisiert. Nach schulischem Muster zogen „curriculare und didaktische Reformen“ in die Hörsäle und Seminare ein. „In den seltensten Fällen“ führten sie dort zu „nachweislich besseren Leistungen“. Eher umgekehrt werde ein Schuh draus: „Vielleicht haben unsere Universitäten auch deshalb ein achtbares Niveau gehalten, weil sie von solchen Reformen bislang verschont blieben.“

Beläßt es der Soziologe bei vagen Hinweisen auf „Neoliberale“ und „Wirtschaftsinteressen“, so will der Sprachwissenschaftler Clemens Knobloch (Universität Siegen) konkretisieren, welche Kräfte sich hinter Oelzes anonymem „man“ verbergen, denen die „Machtergreifung“ in der einstigen „Bildungs- und Wissenschaftsgroßmacht Deutschland“ gelungen ist (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Heft 157/2010). Auch für den Altlinken Knobloch heißt die Mutter aller gegenwärtigen gesellschaftlichen Umwälzungen natürlich „Neoliberalismus“. Aber bei ihm hat das Monster eine Adresse: die der Bertelsmann-Stiftung. Und die des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das die Bertelsmänner 1994 zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz gründeten.

Wesentlich aus Gütersloher Schatullen finanziert, gebiert das CHE seitdem alle „Strategien und Inhalte“, die uns die „schöne neue Universität“ bescheren sollen: von den Studiengebühren über die Budget-Autonomie bis zum Phantasma der „deregulierten Hochschule“. Im Gleichklang mit dem vom Hause Bertelsmann vielfach forcierten Bologna-Prozeß werde hier Arm in Arm mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Dachorganisation der Wissenschaftsstiftungen der deutschen Wirtschaft, marschiert. Mit dabei sind überdies die Nixdorf- und die Schleyer-Stiftung. Mit sehr viel Geld ausgestattet, projektiere man im Auftrag von „Wirtschaftskapitänen“ die „unternehmerische Universität“. Medial begleitet wird dies von Zeit, Süddeutscher Zeitung, Bild und taz – allein das FAZ-Feuilleton gebe den auf verlorenem Posten gegen „Entwissenschaftlichung und Entwertung der akademischen Breitenausbildung“ fechtenden „Humboldt-Kriegern“ noch Feuerschutz.

Mit Behagen breitet der zu szeneüblicher Süffisanz neigende Knobloch aus, welche aberwitzigen dialektischen Bocksprünge die Diskursregie der Bertelsmänner inzwischen riskieren darf, ohne in einer weitgehend desorientierten Öffentlichkeit ein Glaubwürdigkeitsproblem fürchten zu müssen. So dienten in der vom CHE befeuerten Bologna-Propaganda die „US-Elitehochschulen“ stets als „leuchtendes Vorbild“ für den angepeilten europäischen Strukturwandel unter Marktregie.

Diese US-Unis aber, so Knobloch, seien im 19. Jahrhundert „durchweg im Geiste und nach dem Vorbild der Humboldtschen Universitätsidee“ ins Leben getreten. Also keineswegs nach der die „Freiheit von Forschung und Lehre“ des „preußischen Kurators“ auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgenden Manager-Philosophie von der „praxistauglichen“ und „berufsbezogenen“ Ausbildung im Bachelor-Schleudergang. Zu schweigen davon, daß die „Marktradikalen“ mit ihrem „Exzellenz- und Elitezirkus“ das ständische Prinzip im deutschen Bildungssystem soeben neu verankern.

Denn die „Masse“ müsse sich zugunsten der „Elite“ mit „akademischer Käfighaltung“ begnügen. Die wird zukünftig auch teuer zu bezahlen sein, wenn sich im Windschatten von Bologna das seit 1995 in den USA sich ausbreitende Unwesen der „for-profit“-Universitäten hierzulande etabliere. Was da auf den Studenten des Jahres 2015 zukäme, veranschaulicht Knobloch mit einem Hinweis auf den privaten Ableger der TU München in Singapur. Nicht eben günstige 22.500 Euro koste dort heute ein dreisemestriger Master-Abschluß.

Trotzdem läßt Knobloch den „Bildungskonservativen“ ein Fünkchen Hoffnung. Im Geist von Mutter Kempowski („So’st mal sehen, der Wind dreht sich“) erwähnt der Siegener Linguist einen peinlichen Schiffbruch der Neoliberalen in ihrem „Musterland“ Australien. Dort ist der „milliardenschwere private Kindergartenanbieter ABC Learning“ in Konkurs gegangen. Der australische Staat mußte den „systemrelevanten“ Bankrotteur übernehmen: eine von vielen teuer bezahlten Lektionen aus allerjüngster Zeit, die lehren, daß es auf Dauer „nicht nur funktionaler, sondern auch politisch und ökonomisch ‘billiger’“ sei, Schule und Bildung, „Forschung und Lehre von vornherein öffentlich zu halten und politisch zu verantworten“.

Foto: Freie Lehre und Forschung stößt an Grenzen: Humboldtsche Universitätsidee auf den Müllhaufen

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