© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Stochern im Nebel
Verfassungsschutzbericht: Linksextremistische Gewalt fordert die Behörden heraus
Marcus Schmidt

Wenn man die Reaktionen der Medien als Maßstab nimmt, dann ist die Gefahr, die vom Linksextremismus ausgeht, endgültig in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Obwohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2009 am Montag die Gefahr durch die internationale Wirtschaftsspionage in den Mittelpunkt gestellt hatte, bestimmte vor allem die Warnung vor dem zunehmenden Linksextremismus die Schlagzeilen.

Und die Zahlen, die der Verfassungsschutz zusammengetragen hat, geben in der Tat Anlaß zur Sorge: Demnach hat sich die Zahl der linksextremistischen Gewaltdelikte von rund 700 im Jahr 2008 auf 1.115 im vergangenen Jahr erhöht. Der linksextremistischen Szene werden mittlerweile 6.600 gewaltbereite Personen zugerechnet. Auf 113 hat sich 2009 die Zahl der Brandstiftungen fast verdoppelt, die der Körperverletzungsdelikte stieg um 40 Prozent auf 502 Fälle an. 2009 hat es zudem sieben versuchte Tötungsdelikte (2008: drei) gegeben, davon vier gegen Polizisten.

So gut die Gewalt auch in dem 300 Seiten umfassenden Bericht dokumentiert ist, die Verantwortlichen scheinen ratlos: „Wir wissen zu wenig über die Szene und über Personen“, gab Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm ungewohnt offen Einblick in den offenbar unzureichenden Kenntnisstand des Geheimdienstes. Auch sein hilfloser Zusatz „Wir beobachten das“ konnte die Vermutung nicht ausräumen, daß Fromms Behörde bei der Aufklärung des Linksextremismus vielfach immer noch im dunkeln tappt. Man kann zwar beobachten, was passiert – aber wer dahintersteckt, bleibt häufig verborgen. „Das ist keine leichte Aufgabe“, seufzte Fromm.

Innenminister fordert deutliche Trennlinie

Das Herumstochern im Nebel dürfte auch das Ergebnis der jahrelangen Konzentration auf den Rechtsextremismus sein, und so kündigte der Verfassungsschutzpräsident am Montag denn auch „Personalverschiebungen“ innerhalb seiner Behörde an. Der Kampf gegen den Extremismus von links wird verstärkt.

Der Innenminister forderte unterdessen angesichts des Anstiegs linksextremistischer Gewalttaten eine deutliche Trennlinie der Gesellschaft zum Linksextremismus. Mit Blick auf Demonstrationen, bei denen Linksextremisten gemeinsam mit Vertretern demokratischer Organisationen auftreten, erwarte er, daß es bei diesen Gelegenheiten keinerlei Absprachen oder gemeinsame Flugblätter mit Extremisten gebe, sagte der Minister. Sollte es zu Übergriffen kommen, müßten sich die friedlichen Demonstranten umgehend von der Veranstaltung entfernen und distanzieren.

In der Vergangenheit sei es sehr gut gelungen, zu verhindern, daß Rechtsextremisten friedliche Demonstrationen für ihre Zwecke mißbrauchen konnten. Die Zivilgesellschaft müsse nun auch mit Blick auf den Linksextremismus klare Absprachen treffen. „Diese Selbstdistanzierung steht noch aus“, kritisierte der Minister.

Neben dem Linksextremismus und der Wirtschaftsspionage bereitet den Behörden weiterhin auch der islamistische Terrorismus Sorgen. Dagegen verzeichnete der Verfassungsschutz beim Rechtsextremismus „zum wiederholten Male“ einen Rückgang des Personenpotentials.

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